Von Hypertonie spricht der Mediziner, wenn ein Patient unter hohem Blutdruck leidet. Auch Menschen, die hyperventilieren, also unter Schnappatmung leiden, brauchen medizinische Behandlung, weil sie mehr Luft einatmen, als gut für sie ist. Ganz zu schweigen von hyperaktiven Kindern.
Kurzum: Alles was die Vorsilbe hyper trägt, hat von allem zu viel, auf jeden Fall als gut ist. Das gilt auch für so genannte Hypercars – egal, ob sie von einem Verbrennungsmotor oder einer Elektromaschine angetrieben werden. Sie sind deutlich schneller als die Polizei erlaubt, stärker als für den normalen Straßenverkehr erforderlich und obendrein teurer als ein Mensch ohne die Ausbeutung anderer verdienen kann. Und trotzdem werden solche Autos immer wieder und immer noch gebaut.

2000 PS für 1,9 Millionen Euro

Jüngstes Beispiel: Der Lotus Evija. Ein elektrisch angetriebener Sportwagen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 320 km/h, mit einer Motorleistung von sageundschreibe fast 2000 Pferdestärken respektive 1470 Kilowatt – und einem Verkaufspreis von 1,7 Millionen britischen Pfund, was nach aktuellem Wechselkurs einer Summe von knapp 1,9 Millionen Euro entspricht. Der Evija – der Name steht für „the first in existence“ oder „das erste Mal in der Geschichte“ – sei das stärkste Serienauto, das jemals gebaut wurde, schwärmten die Entwickler dieser Tage bei der Weltpremiere in London und schoben gewissermaßen zum Beweis gleich noch ein paar Superlative hinterher. Eine Beschleunigung von 0 auf 100 in 2,8 Sekunden und ein Gewicht von 1680 Kilogramm – damit sei der Evija aktuell das E-Hypercar mit dem geringsten Gewicht weltweit.

Die Karosserie des Sportwagens wird bei einem Spezialisten in Italien komplett aus Kohlefasern gebacken und kommt auf ein Gewicht von nur 129 Kilogramm. Weitaus schwerer wiegt allerdings der Antriebsstrang, der von dem früheren Formel-E-Lieferanten Williams Advanced Engineering entwickelt wurde: Inklusive der vier Elektromotoren und einer Lithium-Ionen-Batterie mit einer Speicherkapazität von – Achtung – gerade einmal 70 Kilowattstunden (kWh) kommt der Hypercar auf ein Gesamtgewicht von 1680 Kilogramm.

Speicherkapazität 70 kWh

Die Batterie (über die Lotus in London nur wenige Worte verlor) kann damit zwar etwas mehr Strom speichern als aktuell die Rennwagen in der Formel E (52 kWh), aber weit dürfte das Hypercar damit nicht kommen, wenn der Fahrer in den Track-Modus schaltet und dem Evija die Sporen gibt. Versprochen wird vom Hersteller zwar eine Reichweite von 400 Kilometern nach dem gesetzlichen Fahrzyklus WLTP. In dem beträgt die Höchstgeschwindigkeit allerdings 130 km/h. Und die wird auch nur wenige Sekunden lang gefahren. Nimmt man die Formel E zum Vergleich, wo die Boliden mit einer Akkuladung in etwa 47 Minuten eine Renndistanz von etwa 115 Kilometern zurücklegen, dürfte der Lotus spätestens nach 160 Kilometern eine Ladesäule ansteuern müssen. „Das Lächerlichste, was man im Moment tun kann, ist, einen elektrischen Supersportwagen zu bauen“, lästert der ehemalige Formel-1-Designer und McLaren-Ingenieur Gordon Murray .

Überschaubarer Markt

Dank einer „revolutionären“ neuen Ladetechnik von Williams soll der Evija dort Strom mit einer Geschwindigkeit von bis zu 800 Kilowatt (kW) pro Stunde aufnehmen können. Nur: Selbst die neuesten High Power Charger von Ionity liefern derzeit nur maximal 350 kW. Und die britische Sportwagenschmiede wird kaum in der Lage sein, nach dem Muster von Tesla ein eigenes Ladenetz aufzuziehen. Zumal von dem Hypercar nur 130 Exemplare gebaut werden sollen – mehr gibt der Markt glücklicherweise nicht her. Zumal dort Lotus nicht alleine steht. Mit dem Battista (1900 PS Motorleistung) buhlt auch Pininfarina aus Italien um die Gunst der Superreichen. Rimac aus Kroatien wirft den C2 (1914 PS) in Rennen, der chinesische Hersteller Nio den EP9 (1360 PS). Und mit dem neuen Tesla Roadster (von Null auf 100 in 2,1 Sekunden) will sich auch Elon Musk ab kommendem Jahr ein Stück vom Kuchen abschneiden – so das Auto denn fertig wird.
Wie viele von den Hypercars über öffentliche Straßen rollen werden, bleibt abzuwarten: Gekauft werden derartige Fahrzeuge in der Regel nur von Sammlern und Spekulanten. Nach ein paar Proberunden landen die automobilen Pretiosen in hochgesicherten Garagen, um von ihren Besitzern in aller Ruhe bewundert zu werden. Anfälle von Schnappatmung sind dabei nicht zu befürchten, Blutdrucksenker nicht erforderlich.

Noch so einer
Rimacs Supersportler C2: Bis zu 400 km/h schnell – auf der Rennstrecke.
© Copyright Rimac
Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert