Wenn Hacker das Stromnetz ins Visier nehmen, kann das für Europa zu einem GAU werden. Gehen in Deutschland die Lichter aus, flackert es in Bordesholm nur einmal kurz. Bordesholm? Der 7500 Einwohner Ort – auf halber Strecke zwischen Neumünster und Kiel – hat bundesweit bisher keine Bedeutung. Das wird sich in nächster Zeit aber schlagartig ändern. Verantwortlich dafür ist Frank Günther.

Der Geschäftsführer der Versorgungsbetriebe Bordesholm (VBB) geht das Gemecker über die Erneuerbaren Energien mächtig auf die Nerven. Statt ewig nur darüber zu diskutieren, dass sie zu teuer sind und das Netz deswegen kurz vor dem Kollaps steht, will der Elektro-Ingenieur der Welt zeigen, dass es auch anders geht. Bei sich zu Hause, in dem kleinen Ort hoch im Norden.

„Ich brenne sehr dafür, auf Erneuerbare Energien umzustellen“, erzählt Günther. „Je schneller, desto besser.“ Aus Umwelt- und Klimagründen, aber auch, weil er gar nichts davon hält, zwei Energiesysteme parallel zu fahren. „Das macht das Energiesystem wahnsinnig teuer.“ Dass der VBB-Leiter selber Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach und ein Elektroauto in der Garage hat, versteht sich von selbst. Den Fuhrpark der VBB hat er soweit wie möglich auf Elektroantrieb umgestellt und öffentlich zugängliche Ladesäulen aufgestellt. Und am Wochenende dürfen sich die Bürger ein E-Auto ausleihen und testen. Klar, das machen andere Energieversorger auch. In Zukunft wird der dafür benötigte Strom in Bordesholm aber zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien kommen. Und fällt das Übertragungsnetz aus, ist Bordesholm autark. Das ist einmalig in Deutschland und ein Vorzeigeprojekt für andere Kommunen.

Drei Mal mehr Energie als der Ort benötigt

Bisher werden 75 Prozent des Jahresstrombedarfs von 21 Millionen Kilowattstunden (kWh) in der Region regenerativ erzeugt. Im Jahr 2020 sollen es 100 Prozent sein. Das Gros des Stroms kommt aus Biomasse, nur zehn Prozent bisher aus Photovoltaik, was Günther über eine Förderung gezielt ausbauen will. Dazu fördern

die VBB Solaranlagen mit 200 Euro pro kW-Peak, der Einheit, in der die Leistung dieser Anlagen angegeben wird. Installiert der Besitzer auch noch einen Heimspeicher, zahlt der Energieversorger sogar 400 Euro je kW-Peak und zusätzlich 800 Euro für den Speicher. „Wir wollen Kunden und Bürger direkt in die Energiewende mit einbeziehen, sie sollen sich als Bestandteil der Energiewende fühlen“, so Günther. „Ich finde das sehr wichtig.“

Ein Batteriespeicher soll im Inselnetzbetrieb Erzeugung und Verbrauch zu jeder Millisekunde ausgleichen und so das Netz stabil halten. Für die Echtzeit-Kommunikation hat Bordesholm ein eigenes Glasfasernetz mit einer Geschwindigkeit von 111 Megabit pro Sekunde – und damit die Branche bereits vor Neid erblassen lassen.

Mit einer Leistung von acht Megawatt (MW) und einer Kapazität von zwölf Megawattstunden (MWh) ist der Speicher drei Mal so groß ausgelegt ist in dem Ort selbst zu Spitzenzeiten erforderlich ist. Bis in Bordesholm 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien durch die Netze fließen, würde bei einem Ausfall der Übertragungsnetze noch ein Notstromdiesel-Aggregat für den Ausgleich sorgen. Auf diese Weise könnte ein Inselnetz tage- oder wochenlang aufrechterhalten werden.

Gemeinsam mit dem Cologne Institute for Renewable Energy (CIRE) und den Übertragungsnetzbetreibern forschen die Versorgungsbetriebe Bordesholm im Rahmen des zehn Millionen Euro teuren Projekts daran, wie sich überhaupt schnell und zuverlässig genug erkennen lässt, dass das vorgelagerte Netz verloren ist. Die dafür verwendete Technologie wird normalerweise dafür genutzt, Stromangebot und -nachfrage in Einklang zu bringen.

So soll sie den exakt richtigen Zeitpunkt bestimmen, um auf Eigenversorgung umzuschalten. Denn geht Bordesholm zu früh in den Inselnetzbetrieb, schadet das dem deutschen Netz, das auf die Primärenergie angewiesen ist. Wird aber nur ein paar Millisekunden zu spät erkannt, dass das Übertragungsnetz ein Problem hat, fällt auch der Strom in Bordesholm aus. Das kann mit Hilfe des Speichers in Verbindung mit den Biomasse-Kraftwerken zwar wieder hochgefahren werden. Was aber nicht so einfach und auch nicht gewollt ist. „Die Kunst liegt also darin, sicher und schnell zu erkennen, dass das vorgelagerte Netz verloren ist“, erklärt Günther. „Das hat noch niemand gemacht.“

Neue Arbeitsplätze entstehen auch noch

Das hat einen entscheidenden Vorteil: Fällt das Netz aus, schalten sich auch alle Photovoltaik- und Windanlagen ab. Ist der Strom wieder im Netz, muss jede einzelne Anlage mühsam wieder angeschaltet werden. In Bordesholm ist das mit 200 Photovoltaik-Anlagen noch überschaubar. Das Projekt soll aber als Plattform genutzt und auch von anderen Regionen mit vielen tausend regenerativen Anlagen genutzt werden. „Da wäre es sinnvoll, dass das lokale Netz erhalten bleibt und den Netzausfall erst gar nicht mitbekommt.“ Springt das vorgelagerte Netz wieder an, muss Bordesholm sich zurücksynchronisieren. Auch dies soll unterbrechungsfrei funktionieren. Einfach ist das nicht. Günther: „In Deutschland wurde das bisher nicht versucht.“

„Dieses Pilotprojekt ist nicht nur ein Vorbild für andere Kommunen, sondern auch eine wichtige Forschungsplattform für die wissenschaftliche Arbeit an weiteren Lösungen auf der Basis Erneuerbarer Energien“, sagt Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck, der den Bau des Speichers mit 1,7 Millionen Euro fördert. 4,5 Megawatt und 8 Megawattstunden sollen als Regelenergie wirtschaftlich vermarktet werden. „Diesen Teil des Speichers finanzieren wir komplett selbst und rechnen dadurch ab 2018 mit einer Umsatzsteigerung von knapp zehn Prozent auf etwa 17 Millionen. Euro“, sagt der VBB-Geschäftsführer Günther. Die hundertprozentige Tochter der Gemeinde Bordesholm rechnet durch dieses Entwicklungsprojekt damit, bis zum Jahr 2023 drei neue Arbeitsplätze schaffen zu können.

Nach Abschluss des Förderprojektes sollen die Hochschulen in Schleswig-Holstein dies als Datenquelle nutzen, um zu untersuchen, welche Voraussetzungen erfüllt werden, um eine stabile, autarke und nachhaltige Notfall-Inselnetzlösung auch auf andere Kommunen zu übertragen.

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