Grand Avenue Downtown Los Angeles an einem Samstagmorgen. Die meisten Büros haben geschlossen, der Verkehr ist entsprechend entspannt. Die örtliche Polizei hat somit wenig Stress, einen Straßenabschnitt von drei Blocks zu sperren. Stets nur für ein paar Minuten, immer dann, wenn wir in einer der drei Volkswagen I.D.-Studien hinterm Lenkrad sitzen und hier entlangsurren – für einen Moment ein Stück Zukunft spielen.

Geht es nach den Plänen von Volkswagen, wird dies auch die Zukunft sein: elektrisch, emissionsfrei und gewiss in vielen Teilen autonom. Unsere Fahrt gleicht – zumindest von außen betrachtet – ein wenig einer Szene wie in einem Science-Fiction-Film. Als stammen sie aus einer anderen Welt, so wirken die Concept Cars I.D., I.D. Crozz und I.D. Buzz zwischen den Häuserschluchten, so neu, so modern, so anders ist ihr Design gegenüber den restlichen Autos, deren Aussehen man schon vergessen hat, bevor sie überhaupt vorbeigefahren sind. Ein unglaublicher Kontrast.

Es wundert nicht, dass Passanten – jugendliche wie ältere – augenblicklich stehen bleiben, ihre Smartphones zücken, fotografieren, filmen und an den geparkten I.D.-Modellen Selfies oder Fotos von der gesamten Familie machen. Kommentare wie „How cool is that?“ oder „Wow, they are looking great“ begleiten die Aktionen.

I.D.-Baureihe für die Zukunft

Ganz ähnliche Situationen spielten sich am Tag zuvor in Venice Beach ab, dauerhaft besonntes Szeneviertel der Hippen, Coolen, Aussteiger und Selbstdarsteller aller Art. Hier am Pazifik-Strand scheint das I.D.-Trio geradezu perfekt zu passen. Ob Surfer, Biker, Jogger oder Skater, keiner läuft oder fährt emotionslos an den Studien vorbei. Die wenigsten wollen glauben, dass zwei Modelle bereits in etwas über zwei Jahren auf der Straße sind, der I.D. und der I.D. Crozz.

Sie meinen es ernst bei Volkswagen. I.D. wird zu einer ganzen Familie (Baureihe G4) ausgebaut. Bestätigt hat VW-Vorstand Herbert Diess bereits den I.D. Buzz für 2022. Der Van ist dem legendären Bulli T1 aus den Fünfziger-Jahren nachempfunden, der vor allem in den USA Kultstatus genießt. Wann genau eine I.D.-Limousine und ein Strom-SUV folgen werden, verrät VW noch nicht. Es gibt sogar Gedankenspiele, den nächsten Beetle vollelektrisch fahren zu lassen. Motto: Zurück zu den Anfängen. Der Käfer hätte dann wieder Heckantrieb.

Während in Amerika und in China zuerst der I.D. Crozz ans Stromnetz angeschlossen wird, leitet, ebenfalls 2020, in Deutschland ein I.D. (ohne Zusatznamen) als Hatchback die neue Elektro-Ära des Wolfsburger Konzerns ein. Es könnte – typisch Volkswagen – der Durchbruch werden. Denn tritt ein, was heute versprochen wird, dürfte der I.D. in vielen Haushalten zum Erstfahrzeug werden. 500 Kilometer Reichweite soll der kompakte Stromer schaffen und nicht mehr kosten als ein ähnlich ausgestatteter und leistungsmäßig vergleichbarer Golf-Diesel. Heißt: rund 26.000 Euro, 10.000 weniger als ein heutiger e-Golf.

Wie geht das?

Alle I.D.-Modelle basieren auf einer gemeinsamen Architektur, dem MEB. Das Kürzel steht für Modularer Elektrik-Baukasten. Er soll helfen, viele Gleichteile zu verwenden und die Produktionsabläufe zu vereinfachen. Der MEB ist im Prinzip so einfach konzipiert wie ein Lego-Spiel.

In der Wagenmitte tief im Boden sitzt zwischen den Achsen die Batterie. Sie kann je nach Modell und Reichweitenwunsch größer oder kleiner ausgelegt werden kann. Gerade von der zukünftigen Zelltechnik der Akkus erhofft sich VW die größten Einsparungen. Sollte der I.D. wirklich den genannten Einstandspreis halten, dürfen die Batteriezellen nicht viel mehr als 100 Euro pro Kilowattstunde (kWh) Kapazität kosten. Vor wenigen Jahren lag der Preis noch bei fast 1000 Euro, heute ist man etwa bei 200 Euro. Und 40 kWh Kapazität bekommt der I.D. mindestens eingesetzt.

Angeflanscht an das Batteriepaket sitzen Vorder- und Hinterachse. Letztere ist stets mit einem Elektromotor kombiniert, für vorne kann der Kunde einen zusätzlichen E-Antrieb wählen. Buzz und Crozz haben serienmäßig Allradantrieb. Das ganze Konstrukt baut flach und kompakt.

Cooler als der Golf

Davon profitieren auch die Designer. Es erlaubt ihnen eine völlig neue Freiheit bei der Gestaltung der Fahrgastzelle. „Wir können die Räder weiter nach außen rücken, die Überhänge kleiner halten und neue Proportionen schaffen“, sagt Einar Castillo vom Exterieur-Design, nennt es „Open-Space-Prinzip“. Schon im Stand sieht der I.D. deutlich cooler aus als der Golf, bietet innen aber den Platz eines Passat. „Der I.D. ist mehr ein Raum auf Rädern als eine Fahrerzelle“, so Castillo.

Dieses neuartige Raumgefühl stellt sich sofort hinter dem Lenkrad ein. Kein Wunder, Cockpit und Armaturenbrett folgen der Funktion des absoluten Minimalismus. Ein kleines Display muss reichen. Eine Mittelkonsole fehlt. Auch Knöpfe und Schalter gibt es nicht mehr. So gut wie alles wird über Sprache, Touch und dem angedockten Smartphone bedient.

Erstmals bei Volkswagen fährt mit dem I.D. ein Modell vor, in dessen Windschutzscheibe „Augmented Reality“ eingespiegelt wird. Dann erscheint beispielsweise der Abbiegepfeil aus der Navigation so in der Scheibe, dass er für den Fahrer optisch exakt auf der Abbiegespur der Straße liegt. Auch Fußgänger werden erkannt und als Warnsymbol in der Windschutzscheibe angezeigt. Möglich macht die „Augmented Reality“ auch hier der MEB. „Wir benötigen im Vorderwagen rund 15 Liter Volumen für den Einbau des Systems. Diesen Platz haben konventionelle Autos in dieser Klasse nicht“, sagt Jerome Küppers, Produkt-Referent E-Mobilität.

„Entfuturisierung“ der Serie

Nicht in der Serie übernommen werden die kleinen eckigen Lenkräder. Für eine Studie mag das zwar futuristisch aussehen, beim Rangieren oder Wenden stößt man jedoch schnell an die Grenzen der Ergonomie, was unsere kurzen Fahrten (mit maximalem Tempo von 30 km/h) in Downtown schnell offenbarten. So gesehen lässt sich auch nichts über das Fahrverhalten aussagen. Die Studien sind fahrtechnisch noch Lichtjahre entfernt vom Serienzustand. Aber wer jemals den e-Golf bewegt hat, weiß, wie VW die Sache angehen wird.

Auch die hinteren Türkonzepte des I.D. und I.D. Crozz ohne die B-Säule werden die Serienversionen nicht sehen. Hier geht es ganz konventionell zu. Was sich aber ändern wird sind neue Materialien im Innenraum. Der I.D. Crozz trug bereits an den Türen Stoffe, die aussehen wie ein Metallgewebe. Auch Leder soll es nicht mehr in der heutigen Ausprägung geben, eher grobgewebte Stoffe. Nachhaltig und vegan heißt das Motto. Selbst Holzfurnier verschwindet aus den Cockpits.

Hinter der I.D.-Familie steckt ein gigantisches Projekt, das Volkswagen neben der Abwicklung des Diesel-Skandals und der Entwicklung seiner konventionellen Autos stemmen muss. Auch intern mussten viele Zweifler überzeugt werden. „Nicht jeder ist gleich Feuer und Flamme für die elektrische Mobilität“, weiß Jerome Küppers. Und wer im neuen Bereich G4 arbeitet weiß, dass für die kommenden Jahre ein Zwölfstundentag das Minimum ist. Denn Ende 2019 soll der sogenannte SOP, der „Start of Production“ sein. Bis dahin müssen alle Abläufe perfekt ineinander passen.

Tausende Mitarbeiter in Wolfsburg werden sich bis dahin intensiv mit neuen Materialien, neuer Technik, neuer Digitalisierung und einer neuen Form der Mobilität befasst haben. Niemand, auch VW nicht, weiß zu 100 Prozent, wann das Elektroauto zu einem Volumenmodell wird und die Stückzahlen jene von Benzinern und Dieselautos übertreffen werden. Mit den I.D.-Modellen aber ist ein vielversprechender Anfang gemacht. Design, Reichweite und Preis stimmen schon mal. Der Rest liegt in Kundenhand. Christian Senger, bei Volkswagen der Chef des I.D.-Projektes, bringt es auf den Punkt: „Elektromobilität kann man nicht verordnen, sie muss überzeugen.“

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