„So etwas haben Sie bei BMW noch nicht gesehen“, ruft Klaus Fröhlich Der sonst meist etwas trocken wirkende BMW-Entwicklungsvorstand sprüht förmlich vor Begeisterung, als er uns beifallheischend den „Vision iNEXT“ vorstellt, die erste Studie zur neuen Elektroauto-Generation der Münchner, die demnächst alles bisher dagewesene in den Schatten stellen soll. Das sei ein Wegbereiter („Trailblazer“), ein großer Schritt für die Zukunft, eine tolle Blaupause der neuen BMW-Strategie und überhaupt „viel mehr als ein Auto.“

Domagoj Dukec, der zuständige Designer für die elektrischen i-Modelle der Münchner, wirkt beinahe ebenso euphorisch. Das Visionsfahrzeug verkörpere auch optisch die nächste Dimension der BMW-Elektromobilität, strahlt er. „Welcome to your favorite space“, lautet sein Werbespruch, denn drinnen sei das Ding so anheimelnd wie ein trendiges Boutique-Hotel. „Intime Modernität“, heißt das Ganze etwas verklausuliert bei BMW. Übersetzt: Vergessen ihre Wohnung, leben Sie einfach im iNEXT, ihrem Lieblingsplatz.

Tatsächlich macht dieser Zukunftsstromer mit seiner kantigen Front, der blau illuminierten gigantischen Doppelniere, den schlitzförmigen Doppelscheinwerfern und der superlangen Dachlinie schwer was her. Doch, Sie ahnen es, das satte 5,05 Meter lange, 2,05 Meter breite und 1,69 Meter hohe, viersitzige Luxusmodell hat die Proportionen eines SUV und übertrifft in den Maßen sogar noch BMWs üppiges SUV-Coupe X6. Gewaltige 24-Zoll-Räder. Es wird also am Ende einer dieser voluminösen City-Geländewagen, mit denen morgens aufgeregte Helikopter-Eltern die Schulen unserer Kids zuparken.

Aufregender als ein Mercedes EQC

Dennoch kommt dieses spacige Ding erfrischend cool daher, ein bisschen auch wie ein gestretchter BMW i3. Auf alle Fälle aufregender als der gerade vorgestellte, recht konventionelle Mercedes-Vollstromer EQC. Dazu passen die großen Glasflächen und Leuchten mit ihren nahezu nahtlosen Übergängen zur Karosserie, und natürlich gibt es unauffällige Kameras statt klobiger Außenspiegel, unsichtbare Sensoren statt Türgriffe. Nur diese roséfarbene Mattlackierung, die BMW hier keck ins Spiel bringt, dürfte für uns deutsche Normies ein wenig zu krass sein (Der Wiederverkaufswert!). BMW formuliert das natürlich feiner: „Die Außenfarbe Liquid Greyrose Copper zeichnet einen Verlauf von warmem Kupfer zu dunklem Rosé und verleiht dem Fahrzeug bereits im Stand Dynamik.“ Alles klar?

Wie es denn drinnen aussieht? Viel Stoff, viel feines Holz. Die riesigen, gegenläufig öffnenden Türen geben, ganz ohne B-Säule, den Blick frei auf ein komplett reduziertes Doppeldisplay-Cockpit. Dazu ein überdimensional geschwungenes Räkelsofa im Fond in der angesagten Einrichtungsfarbe Petroleum, also dieser sehr speziellen Mischung aus Blau und Grün. Es wirkt mit seinem 60er Jahre-Look beinahe etwas plüschig, ist aber unauffällig mit Hightech-Features aufgerüstet, zeigt uns Interieur-Spezialistin Claudia Geidobler.

„Schauen Sie, unter dem scheinbar simplen Jacquard-Stoff verbergen sich Bedienfunktionen“. Tatsächlich, bei Berührung erwacht er über eingewebte LEDs mit Lichtstreifen zum Leben, schon lässt sich die Musikwiedergabe durch Fingerbewegungen steuern. „Intelligent Material“ oder „Shy Tech“ (Hochtechnologie schüchtern im Hintergrund) heißt das bei den Entwicklern. Ähnliches passiert auf der glatten Holzoberfläche der Mittelkonsole, die wie ein Kaffeetischchen daherkommt. Die Hand liegt auf der perforierten Holzfläche, bei punktueller Berührung folgen Lichtpunkte gleich einem Kometenschweif dem Finger, mit dem nun diverse Funktionen gesteuert werden können.

Und dann ist da noch dieser intelligente Beamer, der Informationen durch Projektionen sichtbar macht, was laut BMW auf lange Sicht die Verwendung von Displays ablösen dürfte. Das Gerät liefert nicht nur taghelles Leselicht, sondern kann auf Wunsch auch dynamisch und interaktiv diverse Projektionsflächen im Auto bespielen. So können beispielsweise in einem gedruckten Buch Bilder, bewegte Inhalte und interaktive Grafiken einen bereits vorhandenen Text ergänzen und per Berührung gesteuert werden. Faszinierend.

Logisch, das denn das riesige Zentraldisplay des Cockpits alle voll vernetzten Service- und Multimedia-Angebote auf Zuruf („Hey BMW“) offeriert. Wir können hier unsere Terminpläne checken, Restaurantplätze bestellen oder mal eben per Ansage an Freund Personal Assistant ein offenes Fenster im Smart-Home-Zuhause schließen. Ganz zu schweigen von den personalisierten Routenvorschlägen des Navis. Selbst die Displays wären zukünftig verzichtbar, indem eine „intelligente Projektion“ beliebige Flächen zu einem interaktiven Display macht, Fenster inklusive.

In der Summe ein nahtloser Verbund von BMW Connected World und all unseren Smart Devices. Ach ja, auch Lenkrad und Fußpedale fahren auf unseren Befehl in Habachtposition, führt uns der für BMW i zuständige Interieur-Design Matthias Junghanns, mal schnell vor.

BMW will das Leben „leichter und schöner“ machen

Unterwegs kann der Fahrer wahlweise im „Boost“-Modus selber fahren oder sich im „Ease“-Modus fahren lassen. Geräuschlos und emissionsfrei. Im „Ease“-Modus – das Lenkrad fährt leicht zurück, das Fahrpedal verschwindet im Boden – dürfen sich Fahrer und Passagiere selbst beschäftigen, auf den Anzeigenflächen erscheinen nette altersgerechte Vorschläge. Wahlweise für hippe Szene-Locations oder Kurkonzerte in der Umgebung, spekulieren wir.

Jedenfalls soll dieses feine Elektromobil, wenn es nach BMW geht, unser Leben „leichter und schöner machen“. Dagegen haben wir nichts einzuwenden, im Gegenteil. Dennoch hätten wir gern auch ein paar bodenständige Informationen zum tollen iNEXT. Sorry, profane technische Daten zum Beispiel. Aber nur mit Mühe und lässt sich Fröhlich hier einige vage Andeutungen entlocken. Wir haben es natürlich trotzdem versucht.

Okay, die Batteriekapazität? „Genug“, sagt Fröhlich knapp. Das könne man sich ja ungefähr ausrechnen, denn das Auto soll mit voll geladener Batterie auch nach der strengeren WLTP-Norm weit über 600 Kilometer fahren. Okay, zum Glück haben wir von BMW-Ingenieuren schon gehört, das derzeit mit den neuen Akkus der fünften Generation Kapazitäten zwischen 60 Kilowattstunden (kWh) für „kleinere Modelle“ und üppigen 120 kWh geplant sind. Und die Leistung dürfte je nach Version weit über 300 kW liegen.

Eine Feststoffbatterie lässt sich beim iNEXT nicht einsetzen, was laut Fröhlich schon mit dem aufwendigeren Temperaturmanagement zu tun habe. Der US-Partner Solid Power sei noch weit weg von der Seriennähe, zudem sei das Ganze noch viel zu teuer. „Vor 2030 wird das nicht relevant“, erklärt Fröhlich, „wir arbeiten schon seit sieben Jahren an diesem Thema“. Das sei aber kein Problem, denn die aktuellen Lithium-Ionen-Akkus böten schließlich noch viel Potenzial. Bei den Batteriezellen setze BMW weiter auf Samsung, aber auch auf den chinesischen Hersteller CATL und weitere Kandidaten.

Wie es denn mit dem Schnellladen aussieht, wüssten wir auch gern. Fröhlich ringt sich wieder ein Wort ab: „Hinreichend“. Etwa 80 Prozent der Batteriekapazität des iNEXT sollen in 30 bis 35 Minuten gebunkert sein. Dazu brauche man auch keine 800-Volt-Technologie, schiebt er als Seitenhieb Richtung Porsche (E-Modell Taycan) dann noch nach. Zum Ladevolumen fällt das schöne Adverb „ordentlich“, und über das Gewicht des Autos will er auch nichts Konkretes sagen. So schwer wie der Mercedes EQC, der mit 2,4 Tonnen brummt? „Leichter“, grinst Fröhlich. Und über Kaufpreise redet er prinzipiell noch nicht.

Deutsche Behörden sind zu langsam

Dafür hören wir etwas mehr zu den vorgesehenen autonomen Fahrfähigkeiten dieser Modellreihe. Zum Start sei allerdings nur Level 3 geplant, bei dem Fahrer noch Verantwortung trage. Also, nix mit Party an Bord. „Später“, so Fröhlich, ließen sich aber Level 4 und 5 modular nachrüsten. Bei uns in Deutschland? Fröhlich redet nur von China und den USA, dort gäbe es dann die amtlich regulatorischen Voraussetzungen. Für den Einsatz Deutschland ist der Entwicklungsvorstand erst mal pessimistisch: „Hierzulande kommen die Behörden unserer Technik nicht hinterher.“

Denn BMW ist ziemlich weit beim freihändigen Fahren. Die Parole hat Konzernchef Harald Krüger ausgegeben: „Autonom ist gleich Premium“. Aktuell sind dazu weltweit über 50 Versuchsfahrzeuge fast rund um die Uhr unterwegs, mittelfristig sollen es 200 sein. Und die Zahl der Spezialisten soll auf bis zu 500 erhöht werden. Partner sind der US-Elektronik-Gigant Intel sowie das israelische Topunternehmen Mobileye. Und BMW-Versuchsfahrzeuge sind übrigens schon ohne Fahrereingriff von München nach Genf gedüst, inklusive Autobahnwechsel. Per Knopfdruck übernimmt Kollege Computer, der unentwegt von Radaren, Laserscannern und Sensoren geführt wird. Optisch signalisiert das später ein blauer Lichtkranz auf dem Lenkrad, der flugs zu Rot wechselt, wenn mal ausnahmsweise der Fahrer verlangt wird. Man weiß ja nie.

Gebaut wird das „Technologie-Flaggschiff“ iNEXT übrigens im BMW-Werk Dingolfing, und die geplanten Stückzahlen sind, genau, noch streng geheim. „Das wird kein Nischenmodell“, mehr lässt sich Fröhlich nicht entlocken. Man wäre da flexibel. Ja, 2021 soll das Auto bei den Händlern sein, und das sei aus Sicht seiner Mitarbeiter „schon ein ehrgeiziger Termin“. Wann genau, bitte? Keine Antwort, aber wir haben es schon woanders gehört. Im Monat Juli nach aktueller Planung. So oder so eine lange Warteschleife, in der auch die Konkurrenz nachlegen wird.

Stellt sich die Frage, warum das Modell, das später mal als i5 firmieren könnte, schon jetzt gezeigt wurde. Denn unabhängig von den avisierten Highlights fällt uns auf, dass diese Vision in vielen Details noch etwas grob und unfertig wirkt. Keine vorzeigbare Antriebstechnik, kein zu öffnender Laderaum. Alles so, als ob hier bis zur letzten Minute geschraubt und geklebt wurde. „Bitte vorsichtig, das ist noch eine Studie“, bekommen wir zu hören, wenn wir, wie kleine Kinder im Museum, das Exponat mal händisch inspizieren wollen.

Passend dazu auch die extrem speedige Präsentation des iNEXT. BMW hatte nämlich die schräge Idee, uns den Vollstromer mit allem Tamtam auf dem Münchner Flughafen im aufwendig umgebauten Frachtraum einer Boeing 777 Freighter der Lufthansa vorzustellen. Im Ernst. Noch am selben Abend flog der mit iNEXT-Logos beklebte Riese mit der dann komplett zusammengepackten Bühne (inklusive 7,5 km Kabel, 78.000 LEDs und 165 Video-LED-Modulen) ruck, zuck zu den US-Journalisten nach New York weiter, die nächsten Presse-Stopps waren San Francisco und Peking. Quasi eine PR-Weltumrundung. „Welcome to the worldflight“, hatte uns Fröhlich begrüßt. Visionäre Projekte verdienten eben visionäre Präsentationen, heißt es dazu im BMW-Pressetext.

Eine clevere Idee? Wie man es nimmt, denn selbst so eine moderne 777F verbraucht pro Stunde je nach Geschwindigkeit bis zu 8000 Liter des nicht ganz so klimafreundlichen Treibstoffs Kerosin. Tankvolumen: rund 181.000 Liter. Und das harmoniert vielleicht nicht so ganz mit dem energetischen Footprint eines iNEXT. Andererseits beteuert man bei BMW glaubhaft, dass das Ganze als Show für alle in München keinen Deut ökologischer gelaufen wäre, wenn Hunderte Journalisten aus aller Welt einzeln eingeflogen wären. „Wir haben das natürlich durchgerechnet“, versichert BMW-Sprecher Bernhard Ederer.

Am Ende bleibt die Frage, ob sich BMW hier ohne Not von Mercedes zu einem Schnellschuss verleiten ließ. Zumal der fast produktionsfertige vollelektrische SUV EQC der Stuttgarter, der vor wenigen Tagen mit großer Show in Stockholm vorgestellt wurde, in einigen Parametern (Reichweite, Schnellladen) nicht recht überzeugte. Und auch der fertige Audi e-tron, der jetzt seine Weltpremiere feiert, bleibt hinter den Leistungswerten eines adäquaten Tesla-Modells zurück.

Vielleicht wäre es für BMW schlauer gewesen, ein halbes oder ganzes Jahr später mit einem realitäts- und seriennäheren Modell an die Öffentlichkeit zu gehen. Mal ganz abgesehen davon, dass BMW im Gegensatz zu Mercedes und Audi mit dem kompakt-knuffigen i3 ja schon seit 2013 einen erfolgreichen Vollstromer offeriert, für den es lange Wartezeiten gibt. Der kommt übrigens 2020 als Neuauflage zu uns – mit noch mehr Reichweite bei fast gleicher Akku- und Zellentechnik, aber einer komplett neuen, extrem kompakten und effektiveren Antriebseinheit (E-Motor, Getriebe und Leistungselektronik in einem Block), die auch schon der fünften Generation des iNEXT entspricht.

Vorher, nämlich Mitte 2019, erwarten wir ja auch noch den vollelektrischen Mini Dreitürer und die angekündigte Elektroversion des BMW-SUV X3, die im Frühjahr 2020 als über 200 kW starker iX3 mit mehr als 400 Kilometer Reichweite zu den Händlern rollt. Und wie wir bei Edison wissen, folgt dann im Sommer 2022 der i4, eine Elektrolimousine im Format des heutigen Dreier-BMW. „Bis 2025“, verspricht uns Fröhlich noch hoch und heilig, „werden wir 12 batteriebetriebene Fahrzeuge anbieten.“ Klingt gut, wir halten Sie auf dem Laufenden.

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