Vom Baumhaus träumen nicht nur Kinder. Ein Münchener Professor für Landschaftsarchitektur setzt diesen Traum auch für Erwachsene um. Allerdings anders, als man vermuten würde. Ferdinand Ludwig errichtet nämlich kein Haus in einer Baumkrone. Er lässt vielmehr Bäume für sich arbeiten. Sie wachsen unter seiner Anleitung so zusammen, dass sich daraus allmählich eine Gebäudestruktur ergibt.

Die liefert nicht nur Wohn- oder Arbeitsraum. Sie verbessert auch das Klima in der Stadt. Die grünen Blätter filtern Dreck aus der Luft, kühlen die Umgebung und spenden Schatten. Ludwig erreicht dieses Ergebnis mit einer Kombination von Architektur und Technologie. Das von ihm mitentwickelte Forschungsgebiet nennt sich Baubotanik.

Pflanzen in der Stadt sind wichtig. Parks und Straßenbäume sind nicht nur gut für die Seele der Bewohner. Sie helfen auch, das Klima im urbanen Raum zu verbessern. Das gilt umso mehr, je stärker sich der Klimawandel bemerkbar macht. Doch bis ein neu gepflanzter Baum gute Dienste leistet, vergehen Jahre oder sogar Jahrzehnte. Begrünte Fassaden sind ein Versuch, diesen Prozess zu beschleunigen. Einen Erholungseffekt wie Parks und Baumgruppen können diese aber nur bedingt bieten. Architekt Ludwig versucht deshalb, beide Wege zu verbinden. Er arbeitet daran, die „gebaute Umwelt“ grüner zu gestalten, statt sie nur nachträglich zu begrünen.

Natur und Technik fussionieren

„Eine Fassade darf nicht nur nach innen wirken, etwa durch ihre Wärmedämmung“, sagt Ludwig. Er fordert, dass Gebäude auch einen positiven Effekt auf ihre Umgebung haben müssten. Am besten funktioniert das durch natürliches Grün. Die Baubotanik forscht nach technischen und biologischen Möglichkeiten, wie Haus und Pflanze kombiniert werden können.

Die wichtigste Technik für Ludwig und seine Kollegen ist die Pflanzenaddition. Dabei werden Bäume untereinander und mit nicht lebenden Konstruktionselementen so verbunden, dass sie zu einer Verbundstruktur verwachsen: Einzelne Pflanzen verschmelzen zu einem neuen, größeren Gesamtorganismus. In diese pflanzliche Struktur wachsen technische Elemente ein.

Energiebedarf für Kühlung sinkt

Um die Pflanzen so weit zu bringen, gehen Ludwig und sein Team mit selbst entwickelten Methoden vor. Junge, in speziellen Behältern wurzelnde Pflanzen werden so angeordnet und miteinander verbunden, dass sie zu einer pflanzlichen Fachwerkstruktur verwachsen. „Wir bauen keinen Ersatz für Gebäudewände. Es geht vielmehr darum, eine sekundäre Hülle um ein Gebäude zu schaffen“, sagt Ludwig. Diese Hülle steht dann etwa vor einer Glasfassade. Durch die Blätter reduziere sie den Energiebedarf für die Kühlung des Gebäudes um ein Drittel sagt, der Architekt.

Anfangs versorgen die Forscher die einzelnen Pflanzen noch mit Wasser und Nährstoffen und halten sie mit Hilfsgerüsten in Form. Nach einiger Zeit werden die Bäume dicker, sie entwickeln eine selbsttragende und belastbare Struktur, die Hilfsgerüste werden überflüssig. Vor allem aber ist so der Transport von Wasser, Nährstoffen und Assimilaten von der untersten Wurzel bis zum obersten Blatt möglich. Die untersten, in den Erdboden gesetzten Pflanzen entwickeln ein leistungsfähiges Wurzelsystem. Das Wurzelwerk der oberen Pflanzen kann gekappt werden.

Wenig Platz für neue Konzepte

Auf diese Art schafft es Ludwig, die schnelle Verfügbarkeit von Bauwerksbegrünungen mit der Dauerhaftigkeit und langfristigen Robustheit von Bäumen zu verbinden. Bereits unmittelbar nach Fertigstellung ist eine relativ hohe Blattmasse vorhanden. Anders als viele Begrünungssysteme müssen diese Strukturen auch nicht auf Dauer gewässert und gedüngt werden. Langfristig erreichen sie die Robustheit natürlich gewachsener Bäume.

Noch gibt es wenige Beispiele für die Umsetzung dieser Technik. Die Branche sei konservativ, sagt Ludwig. Er spricht von einer „Investorenlogik“, bei der möglichst dicht und viel gebaut werde. Platz für neue Ideen und Konzepte gebe es da oft wenig. Der Architektur-Forscher aus München wünscht sich deshalb mehr mutige Bauherren, die dieses neue Konzept anwenden. „Wir wollen die gebaute Umwelt mit gewachsener Struktur anreichern“, sagt er. Zu sehen ist das zum Beispiel in Nagold, wo der 2012 von Ferdinand Ludwig und seinem Büropartner Daniel Schönle geplante „Platanenkubus“ wächst. Auch im schwäbischen Laupheim steht ein Werk des Büros. Dort wurde ein Schulhof mit der innovativen Technologie in ein grünes Paradies verwandelt.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert