In gemächlichem Schritttempo rollt die Bodengruppe einer Renault Zoe auf dem Fließband heran. Vorne sind Elektromotor und Untersetzungsgetriebe samt den leuchtend orangen Stromkabeln zu erkennen, im Heck der Batteriekasten mit den Lithiumionen-Akkus. Zwei Meter dahinter zockelt das Innenleben eines Renault Clio: vorne Benzinmotor, hinten Sprittank. Gefolgt von einem Nissan Micra.

Gleich geht es hier im Renault-Werk Flins, 40 Kilometer nordwestlich von Paris, zur Hochzeit. So nennt Yannick Prigent, stellvertretender Werksleiter (im Bild oben), einen der entscheidenden Momente in der Autoproduktion: Wenn von oben die Karosserie heranschwebt und vollautomatisch auf der Bodenplattform abgesetzt wird, es kurz knallt und die Verbindungen zwischen beiden Teilen fixiert sind. Und die künftigen Zoes, Clios und Micras fast schon wie richtige Autos aussehen. Auch wenn Sitze und Armaturenbrett noch fehlen.

All das ist nichts Ungewöhnliches für eine Automobilfabrik. Bemerkenswert ist aber schon, dass in Renaults größtem französischen Werk traditionelle Verbrenner und neumodische Elektroautos auf einer Fertigungsstraße entstehen. Im bunten Wechsel, je nach den Bestellungen der Kunden.

Diese Flexibilität hilft Kosten zu senken, 80 Prozent der Teile unter der Karosserie sind bei Zoe und Cloe gleich. Das trägt dazu bei, die Elektromobilität erschwinglich zu machen. Renault scheint dabei auf einem guten Weg zu sein. Die Zoe war im ersten Halbjahr 2018 mit 2.691 Einheiten Marktführer in Deutschland, in Europa liegt sie mit etwas mehr als 17.000 verkauften Fahrzeugen knapp hinter Bündnis-Bruder Nissan Leaf mit 18.000 Zulassungen.

30.000 Mitarbeiter geschult, eine Milliarde wird investiert

Aus Sicht der britischen Beratung PA Consulting liegt das Markenbündnis Renault/Nissan/Mitsubishi derzeit auf Platz 2 ihres Rankings, in dem es die künftige Leistungsfähigkeit in Sachen E-Mobilität erfasst (siehe Grafik in der Bilderstrecke). Nur – wen wundert es – der Spezialist Tesla ist noch besser. Selbst wenn die deutschen Hersteller wie Daimler und BMW aus ihrem Dornröschen-Schlaf erwachen und aufholen, wird Renault & Co. auch 2021 noch auf Platz 3 liegen.

Um sich im Spitzentrio halten zu können, muss Renault weiter die Organisation umbauen. „Wir haben bereits 30.000 Mitarbeiter aus allen Abteilungen in Sachen Elektromobilität geschult“, berichtet Gilles Normand, der den Bereich Elektromobilität bei Renault leitet. Der Konzern plant allein in Frankreich eine Milliarde Euro zu investieren und bis 2022 acht reine E-Autos auf dem Markt zu bringen und weitere zwölf elektrifizierte. Im Werk Flins soll die Produktionskapazität für die Zoe verdoppelt werden. In französischen Medien war von 440 Fahrzeugen pro Tag zu lesen. Was knapp die Hälfte der 950 pro Tag im Dreischichtbetrieb gefertigten Fahrzeuge wäre. Im nordfranzösischen Douai soll zusätzlich ein weiteres Renault-/Nissan-Modell vom Band laufen. Das Motorenwerk Cleon nahe Rouen soll die Kapazität verdreifachen.

Und auch die nächste Generation der Zoe, die wohl beim Pariser Automobilsalon Anfang Oktober Premiere feiert, wird in Flins gebaut. Immerhin ist sie seit 2012 zumindest optisch weitgehend unverändert geblieben. Auch wenn gerade eine größere Batterie mit 41 Kilowattstunden Kapazität und ein stärkerer Motor mit 80 Kilowatt Leistung für mehr Reichweite und Fahrspaß sorgen.

„Und wir entwickeln mit den Kollegen von Nissan eine gemeinsame Plattform für die nächste Generation von E-Autos“, verrät Normand. Die sollen zu 80 Prozent aus den gleichen Teilen bestehen, was zu kräftigen Einsparungen bei Forschung und Entwicklung sowie bei den Komponenten führen soll. Er erwartet zudem, dass die Batterien – sie sind die mit Abstand teuerste Komponente im E-Auto – deutlich günstiger werden, „um bis zu 30 Prozent pro Kilowattstunde Speichervermögen.“

Angesichts dieser Entwicklungen rechnen etwa die Fachleute von der Aachener Ingenieurberatung P3 damit, dass ab Anfang des kommenden Jahrzehnts vergleichbare Elektro- und Verbrennerautos auch gleich viel kosten werden. Heute muss der Kunde in Deutschland für eine Zoe mit kleinem Motor (68 kW) und großer Batterie noch rund 35.000 Euro zahlen, wenn er den Akku kauft und nicht mietet. Ein vergleichbarer Clio mit Benzinmotor kommt laut Verkehrsclub ADAC auf knapp 17.000 Euro (PDF) – gerade einmal die Hälfte.

Bidirektional Laden auf Madeira

Höhere Stückzahlen, günstigere Akkus, Plattformstrategien sollen diese Preisdifferenz schrumpfen lassen. Und die Renault-Leute suchen nach neuen Geschäftschancen, von denen auch der Kunde profitiert, erzählt Yasmine Assef, die bei Renault Programm-Managerin für Energie-Dienstleistungen ist. „Wir wollen die Fahrzeuge zum Teil des Energienetzes machen“, sagt sie. Womit der Kunde sogar Geld verdienen kann. In den Niederlanden hat sich der Konzern etwa am Start-up Jedlix beteiligt. Dessen Entwickler haben eine App programmiert, mit deren Hilfe der Zoe-Besitzer immer dann sein E-Auto lädt, wenn viel Erneuerbare Energie im Netz ist. Statt etwa ein Windrad bei Sturm zu stoppen, kann es so weiter laufen.

Diese Flexibilität honorieren die Stromversorger, laut Assef kann ein Renault-Besitzer so bis zu 60 Euro pro Jahr sparen. Das Praktische: Die Zoe ist bereits heute mit einer kleinen Mobilfunkeinheit ausgestattet, mit deren Hilfe der Fahrer etwa den Ladezustand der Batterie aus der Ferne kontrollieren kann. Über sie lässt sich auch das Laden des Akkus steuern. Damit muss Jedlix keine teure, intelligente Wallbox installieren. Im Prinzip funktioniert ihr Geschäftsmodell an jedem Stromanschluss.

Renault Managerin Assef macht sich aber auch bereits Gedanken, wie sich die teuren Akkus am Ende ihrer Lebenszeit im Fahrzeug nutzen lassen. „Anfangs gingen wir von einer Nutzungsdauer im Auto von acht Jahren aus“, berichtet sie, mittlerweile rechneten sie mit zehn Jahren. Danach müssten die Akkus aber nicht recycelt werden, sondern eigneten sich immer noch als Stromspeicher etwa für selbst produzierten Solarstrom im eigenen Heim. Entsprechende Lösungen mit Renault-Akkus bietet etwa das britische Start-up Powervault an.

Und auf der portugiesischen Inselgruppe Madeira mitten im Atlantik sollen gebrauchte Akkus, gebündelt in größeren Einheiten das Stromnetz auf Porto Santo stabilisieren – und helfen das Eiland unabhängig von fossilen Rohstoffen zu machen. Damit nicht genug: Eine kleine Flotte von 14 Zoes und sechs elektrischen Kleintransportern vom Typ Kangoo Z.E. sollen ab Ende des Jahres mit Strom aus ihren Speichern helfen, bei Nachfragespitzen den Energiehunger der Insulaner und Touristen zu stillen. Dieses bidirektionale Laden beherrschen die Serienmodelle der Zoe bisher noch nicht.

Härtetest am Ende des Fließbandes

Die müssen – wenn sie im Werk Flins am Ende Fertigungsstraße vom Band rollen – gleich einen kleinen Härtetest durchlaufen, wie der stellvertretende Fabrikleiter Prigent verrät. Weil Elektroautos von Natur aus nun einmal leiser als Verbrenner sind, fallen unerwünschte Nebengeräusche viel eher auf. Daher muss jede Zoe über eine zwei Kilometer lange Teststrecke brettern – samt Kopfsteinpflaster. Dabei sollte störendes Klappern oder Quietschen schnell auffallen. Und wird dann von den Mitarbeitern abgestellt.

„Oft hat jemand zuvor am Band ein kleines Verpackungsteil vergessen, das dann das Geräusch verursacht“, so Prigent. Die Teststrecke der Clios und Micras ist viel kürzer, ihre lauten Otto- und Dieselmotoren überdecken einfach viele Nebengeräusche. So sorgt der E-Antrieb ganz nebenbei auch noch für mehr Qualität.

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