Herr Senger, Sie haben sich auch früher bei BMW schon mit Elektromobilität auseinandergesetzt. Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass der neue VW ID. im Unterschied zum BMW i3 von Anfang an ein Erfolg sein wird?
Der ID. wird durch die Alltagstauglichkeit bestechen, durch eine größere Mindestreichweite. Das Schnellladen ist von Anfang an möglich. Außerdem sind wir in der Lage, den Verkaufspreis nahe an die eines vergleichbaren Dieselautos heran zu führen. Und: Die Ladeinfrastruktur ist heute wesentlich besser als seinerzeit bei der Markteinführung des BMW i3. Vor fünf Jahren war Infrastruktur für eine elektrische Langstreckenmobilität praktisch nicht vorhanden. Damals brauchte man auch 50 Karten von Energieversorgern, um durch die Republik zu kommen. In 2020 wird Elektromobilität signifikant besser und einfacher sein.

Sie rechnen aber auch mit ganz anderen Produktionszahlen: Die Rede ist jetzt von 15 statt 10 Millionen Autos, die ab 2020 auf der Plattform des ID., dem Modularen Elektro-Baukasten MEB, entstehen sollen. Woher nehmen Sie den Mut zu solchen Größenordnungen?
Aus den aktuellen Zahlen des Marktes. Die Produktion des e-Golf ist heute schon komplett ausgelastet, können sie auch nicht mehr steigern, weil wir nicht genügend Batterien bekommen. Beim ID. planen wir deshalb von Anfang an eine wesentlich höhere Grundauslegung. In Nordeuropa kämpfen die Händler um jedes Auto – deren Bestellwünsche können wir gar nicht alle erfüllen. Auch die Gebrauchtwagen werden aufgesaugt. Das zeigt mir: Der Kunde ist bereit für die Elektromobilität.

Auch der in Deutschland? Das Interesse wächst, aber die Kaufbereitschaft ist noch verhalten.
Unser Heimatmarkt steht der Elektromobilität tatsächlich noch sehr reserviert gegenüber.

Wie ändert man das?
Indem man die Infrastruktur weiter ausbaut, indem auch die Ladestationen sichtbarer werden als heute noch. Der Bevölkerung muss klar werden: Die Elektromobilität ist die neue Kern-Mobilität. Wir waren ewig lange in einem Benziner-Markt unterwegs. Es hat 15 Jahre lang gedauert, bis der Dieselantrieb akzeptiert war…

…und nur wenige Jahre, um das Vertrauen in den Selbstzünder wieder zu zerstören. Stichwort: Dieselskandal.
Ja, leider. Das starke Bekenntnis von Volkswagen zur Elektromobilität hat verschiedene Quellen. Die Ereignisse der letzten Jahre haben uns ermuntert, die Dinge neu zu denken – Elektromobilität als Chance zu betrachten und nicht als Risiko. Hinzu kam, dass unser Vorstandschef Herbert Diess schon immer eine starke Begeisterung für den Elektroantrieb hatte. Und natürlich haben uns auch die strengen CO2-Grenzwerte zum Schutz des Klimas in diese Richtung motiviert. Heute sind wir davon überzeugt, dass ein Autohersteller in Zukunft nur noch erfolgreich ist, wenn er ein erfolgreicher Anbieter von Elektroautos ist.

Jetzt müssen nur noch die Konsumenten überzeugt werden von der Energiewende auf der Straße.
Die Menschen brauchen nun vor allem Sicherheit, dass sich die Investition in ein Elektroauto lohnt, dass sie mit dem Kauf das Richtige tun. Deshalb hier von uns die klare Botschaft: Ja, Benziner und Diesel werden immer sauberer. Aber Elektromobilität wird das neue Normal.

In der Politik scheint das noch nicht angekommen zu sein: Städte fahren beim Aufbau des Ladenetzes immer noch auf Sicht, ohne einen Generalplan.
Und jeder Mieter eines Mehrfamilienhauses hat immer noch gegen große Widerstände zu kämpfen, bis in der Tiefgarage eine Wallbox installiert wird. Vieles wird aufgrund diffuser Ängste noch abgelehnt. Es wird viel mit der Angst begründet, dass die Stromnetze zusammenbrechen, wenn zu viele Elektroautos auf einmal auf die Straßen kommen. In Norwegen werden inzwischen 42 Prozent der Neuwagen mit Elektroantrieb verkauft – und das Stromnetz ist immer noch stabil. Es gibt nur punktuell Probleme. Wir reden deshalb intensiv mit der Politik, sich mit der Elektromobilität stärker auseinander zu setzen.

Erst rief die Politik zum Schutz des Klimas nach Elektroautos – nun müssen Sie darum bitten, den Weg für diese Antriebstechnik frei zu machen?
Ja, leider. Dabei wäre es besser, mit einer Stimme zu reden. In den 1960er Jahren waren die hohen Unfallzahlen im Straßenverkehr ein großes Problem. Man steuerte damals mit einer breitangelegten Aufklärungskampagne dagegen – der „Siebte Sinn“ im Fernsehen hatte daran einen großen Anteil. Den Menschen musste verdeutlicht werden, was ein ABS-System leistet, wie ein Sicherheitsgurt hilft, die Unfallfolgen zu verringern. Das konnte ein Autohersteller allein nicht vermitteln. Um die Ängste vor den neuen Techniken zu nehmen, bräuchte es eine starke öffentliche Stimme.

Und ein attraktives Modellangebot. Das erste ID.-Modell, das – angelehnt an den BMW i3 und das Model 3 von Tesla ebenfalls eine 3 im Namen tragen soll – startet zum Jahresende zu Preisen um die 25.000 Euro.
Wir haben eine Entscheidung getroffen, wie das erste Modell heißen wird, und werden den Namen schon bald verkünden.

Der erste ID. – wie immer er nun heißt – hat die Außenmaße eines VW Golf und das Platzangebot eines Passat. Gibt die Plattform auch ein kleineres, noch preiswerteres Modell her? Ein Stadtmobil wie der e.Go oder der Microlino?
Die Antwort ist ein klares Ja. Ein Stadtwagen wäre die logische Fortsetzung. Denn je günstiger der Preis, desto größer die Zahl der Käufer. Wir wollen deshalb auch unterhalb des ersten Modells Fahrzeuge anbieten. Aber: Die beste Relation aus Entwicklungsaufwand, Herstellkosten und Verkaufserlös haben wir bei der Größenordnung eines Audi A6. Langstrecken-Elektromobilität hat aus dem Grund in dieser Klasse begonnen. Unter anderem durch Scaling-Effekte haben wir es geschafft, eine ähnliche Ratio im Golf-Segment zu erzielen. Die nächste Herausforderung wird sein, unterhalb des Golf-Segments ein Elektroauto wirtschaftlich darzustellen. Das ist nicht einfach.

Obwohl der Akku, das teuerste Teil eines Elektroautos, bei einem Stadtauto ja wesentlich kleiner und preiswerter ausfallen kann.
Ja, aber wenn sie Massen von Menschen in die Elektromobilität ziehen wollen, können sie die nicht mit einem Kleinwagen abspeisen. Denn die Menschen fragen sich dann schon, wie sie damit im Alltag zurechtkommen sollen. Was passiert im Winter, wie komme ich damit in den Urlaub? Die meisten Käufer wollen einen Reichweiten-Puffer – eine Sicherheits-Reserve. Erst wenn gelernt ist, wie Laden funktioniert und wenn ein dichtes Ladenetz existiert, wird es eine breite Käuferschicht für Fahrzeuge mit kurzer Reichweite geben. Heute erreicht man damit nur Pioniere, Early Adopters. Die Gruppe ist für uns nicht groß genug.

Der Volks-Stromer kommt also erst später?
Auf der neuen Plattform haben wir mit dem ersten ID. einen kompakten Volks-Stromer, wenn Sie so wollen. Und wir haben noch den e-up!. Der ist auch klein, flott, kommt mit kleineren Batterien aus. Aber der ist wirtschaftlich schon schwieriger darzustellen als unsere ID.-Familie.

Anderes Thema: Muss nicht auch dringend noch etwas an der Ladeinfrastruktur gemacht werden?
Tatsächlich weist das Netz heute noch große Lücken auf. Auch müssen die Ladesäulen noch bedienerfreundlich werden. Trotzdem funktioniert die Elektromobilität heute schon, das beweisen viele Pioniere. Und das System wird immer besser. Unsere Fahrzeuge werden vorbereitet auf Plug & Charge.

Das bedeutet?
Das Auto wird automatisch erkannt, wenn die Verbindung zur Ladesäule hergestellt ist. Der Strom fließt dann in der passenden Stärke und auch der Bezahlvorgang wird automatisiert. Wir machen es den Menschen immer einfacher, elektrisch zu fahren. Man muss nicht mehr zu einer Tankstelle fahren, holt die Energie für sein Auto aus der Steckdose daheim.

Vorbehalte gibt es geben Elektroautos auch noch wegen der schlechten Öko-Bilanz in der Produktion.
Die Herstellung der Batterie verschlingt in der Tat heute noch große Mengen Energie und verursacht dadurch CO2-Emissionen. Dafür ist man dann später immerhin emissionsfrei unterwegs, wenn man die Batterien mit Grünstrom lädt. Wir werden dafür sorgen, dass die Belastungen in der Herstellung deutlich sinken werden, etwa durch den konsequenten Einsatz von Grünstrom in der Batteriefertigung. Damit reduzieren wir die CO2-Emissionen an dieser Stelle deutlich. Ich verspreche: Wir werden die Batterie sauber bekommen.

Sie produzieren derzeit aber keine Batterien selbst, müssen sie bei Zulieferern einkaufen. Wie wollen Sie das Versprechen denn einhalten?
Wenn wir Autos nachhaltig produzieren wollen, müssen das auch unsere Partner. Und wer mit Volkswagen zusammenarbeiten will, muss auch unsere Standards erfüllen. Das sind harte Kriterien, aber zusammen mit uns macht man auch gute Geschäfte.

Welche Öko-Pläne VW mit seiner ID.-Reihe noch verfolgt, können Sie hier nachlesen.

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