Achilleas I. aus Neuss hat im Februar seinen drei Jahren alten Chevrolet Camaro eingestellt, einen Sportwagen der alten Schule. Der Achtzylinder mit 6,2 Litern Hubraum unter der Haube mobilisiert 455 PS, die eine spezielle Auspuffanlage beim Tritt aufs Gaspedal gerne laut hinauswiehert. Für 212 Euro am Tag würde Achilleas das Auto verleihen. Der Mieter muss sich allerdings verpflichten, im Fahrzeug nicht zu rauchen – und den Motor erst zu fordern, wenn der Anzeiger des Ölthermometers die 70-Grad-Marke erreicht hat.

Oder wie wäre es mit einem Tesla? Michael M. aus Beelitz bei Berlin wäre bereit, sein weißes Model S von 2014 zu verleihen – gegen eine Nutzungsgebühr von 111 Euro pro Tag, 1500 Kilometer inklusive. Wer mal die unglaubliche Beschleunigung eines Elektroautos am Beispiel eines Model X erleben möchte, hat dazu auch in Köln Gelegenheit. Ein gewisser Daniel N. verleiht hier sein zwei Jahre altes Elektroauto mit Flügeltüren für 189 Euro am Tag.

Wie – das eigene Auto wildfremden Menschen überlassen? Heilig’s Blechle. Einige werden sich bei der Vorstellung sicher noch schaudern, das Lenkrad ihres heißgeliebten Gefährts stunden- oder tageweise einem Menschen zu überlassen, den man zuvor noch nie gesehen hat. Doch die so genannte Peer-to-Peer-Vermietung von Privatwagen unter Privatleuten über das Internet findet hierzulande immer mehr Anklang. 43,2 Prozent der Deutschen können sich inzwischen vorstellen, ins private Carsharing einzusteigen, zeigt eine Umfrage, die Turo Deutschland gerade zusammen mit dem Marktforschungsinstitut Innofact durchgeführt hat. Die tageweise Vermietung des Privatwagens wird demnach schon heute eher akzeptiert als die Überlassung der Privatwohnung: Die eigenen vier Wände würden nach der Umfrage lediglich 16,7 Prozent der Deutschen gegen Bezahlung fremden Menschen zur Verfügung stellen. Allerdings: Selbst mieten würden eine fremde Wohnung 26,3 Prozent – die Plattform AirBnB hat hier offenbar wertvolle Vorarbeit geleistet.

Die steigende Aufgeschlossenheit der Deutschen für die Sharing Economy insgesamt und für das Anwendungsfeld Automobil hat selbst Marcus Riecke überrascht. Riecke ist Geschäftsführer von Turo Deutschland – und die in USA beheimatete und 2009 gegründete Company bemüht sich seit einem Jahr auch in Deutschland, Menschen zu motivieren, den eigenen Wagen für einen kleinen Nebenerwerb einzusetzen und über die Turo-Plattform zu verleihen. In USA zählte Turo im vergangenen Jahr bereits sieben Millionen Nutzer, die auf eine Flotte von einer Viertelmillion Fahrzeugen zurückgreifen konnten. Im Vergleich damit ist Deutschland noch Entwicklungsland, mit etwas mehr als 60.000 Nutzer und rund 2000 Fahrzeugen im Angebot. Aber die Akzeptanz wächst – und das Angebot ebenfalls. Die Pioniere sind, wen wundert es, überwiegend männlich, zwischen 25 und 29 Jahre alt und in der Großstadt daheim. Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie: Zum Teilen sind am ehesten Menschen bereit, die entweder besonders wohlhabend sind – oder mit dem Geld knausern müssen.

Geld verdienen mit dem eigenen Auto

Die geringste Hemmschwelle beim Teilen besteht in Deutschland bei Mitfahrgelegenheiten. Auch einen Rasenmäher, Werkzeuge oder Hausgeräte verleiht man gern – erst recht, wenn es dafür Geld gibt. Aber das private Carsharing rangiert nach der Umfrage schon an der dritten Stelle der Beliebtheitsskala. „Wir haben hier sicher immer noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten“ sagt Riecke im Gespräch mit EDISON. Aber das erste Geschäftsjahr und die Ergebnisse der Umfrage stimmten ihn optimistisch: „Auch die Deutschen begreifen allmählich, dass man nicht nur mit einer Ferienwohnung, sondern auch mit dem eigenen Auto Geld verdienen kann.“

In Las Vegas hat im vergangenen Jahr hat ein Turo-Kunde mit der Vermietung seines Porsche 911 immerhin rund 42.000 Dollar im Jahr verdient, ein anderer in San Francisco rund 40.000 Dollar mit dem Verleih seines Tesla Model X. Davon können die deutschen Turo-„Hosts“ derzeit noch träumen. In Deutschland strich im vergangenen Jahr ein Autobesitzer zwar schon mal über 3200 Euro für eine Vermietung ein. Aber im Schnitt sind die Summen deutlich geringer – der durchschnittliche Verdienst eines „Turo-Anbieters“ lag hier im vergangenen Jahr bei 122 Euro pro Vermietung – nach Abzug der 25-prozentigen Provision, die Turo bei jeder Vermittlung einstreicht.

Im Angebot sind hierzulande allerdings auch nur wenige Autos vom Kaliber eines Chevrolet Camaro oder Tesla Model X, sondern überwiegend Fahrzeuge vom Typ VW Golf, Mercedes C-Klasse oder Dreier-BMW. Deutsche Durchschnittsware der gehobenen Qualität. Bundesweit gibt es immerhin aber auch schon 57 Tesla zu mieten. „Prozentual haben wir eine wachsende Zahl von Hybrid- und Elektroautos im Angebot“, freut sich Deutschland-Chef Riecke. Seine Erklärung: „Wer sich ein Tesla Model S leisten kann, hat es im Normallfall zwar nicht nötig, das Auto mit anderen zu teilen. Aber viele wollen ihre Begeisterung für den Elektroantrieb gerne mit Dritten teilen. Und die Senkung der Betriebskosten ist für sie dann ein netter Nebeneffekt“, vermutet Riecke.

Persönliches Treffen schafft Vertrauen

Für die These, das bei der Anmietung eines Autos bei Turo das Faktor Spaß keine geringe Rolle spielt, spricht zumindest die durchschnittliche Nutzungsdauer von drei Tagen pro Fahrzeug: Ausgeliehen werden die Autos eben nicht – wie bei klassischen Carsharing-Systemen – für kurze Spritztouren durch die City, sondern eher für Urlaubs- und Genussfahrten: Mit einem Camaro zum Klassentreffen, einem Tesla Model X mit der ganzen Familie für ein paar Tage an die Nordsee oder mit einem echten Geländewagen zum Skiurlaub in die Alpen.

Turo macht demnach eher klassischen Autovermietern a la Sixt und Avis Konkurrenz denn den Cityflitzern von Car2Go oder Drive Now. „Bei uns gibt es keine langen Warteschlangen beim Vermieter, sondern einen schnellen Vertragsabschluss über das Handy. Und man bucht keine Fahrzeugkategorie, sondern ein ganz bestimmtes Fahrzeug“, streicht Riecke die Unterschiede heraus. Dafür müssen sich Mieter und Vermieter allerdings persönlich treffen, um den Fahrzeugschlüssel auszutauschen.

Vor der Garage des Besitzers oder – gegen Extra-Gebühr – an einem vorher vereinbarten Treffpunkt. Das mag umständlich klingen, ist aber für das Gelingen des Geschäftsmodells essentiell, glaubt der Turo-Manager: „Vertrauen ist die Basis unseres Geschäfts. Der Vermieter muss isch sicher sein können, dass sein Auto pfleglich behandelt wird, dass kein Müll im Fußraum zurückbleibt oder der Gestank von Zigaretten im Dachhimmel.“ Dazu sei es erforderlich, dass sich die Vertragspartner sich zumindest kurz gegenseitig ins Auge schauen. Gefällt dem Vermieter die Nase des Miet-Interessenten nicht, kann er vom Vertrag zurücktreten. Kommt der Deal zustande, ist das Risiko allerdings auch überschaubar: Das Auto ist für die Zeit der Miete über Turo beziehungsweise die Allianz versichert. Die eigene Haftpflicht und Kasko-Versicherung ruht derweil, so dass im Schadensfall keine Rückstufungen im Tarif drohen.

Allerdings, so verrät Riecke: Im Stammland USA arbeite man unter dem Namen „Turo Go“ an einem Konzept, bei dem die Schlüsselübergabe entfällt und die Öffnung der Fahrzeugtür und die Freischaltung des Antriebs digital erfolgt. Die Technologie soll zunächst großen Flottenbetreibern zur Verfügung gestellt werden, die ihre Autos nicht jedem Mieter bis vor die Haustüre bringen können.

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