Auf Wasserstoff ruhen viele Hoffnungen. Das Gas könnte sowohl zur Stromerzeugung genutzt werden als auch Autos antreiben. Der Vorteil gegenüber fossilen Gasen wie Erdgas ist, dass Wasserstoff mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden kann. Bei der Elektrolyse wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff umgewandelt. Power to Gas (PtG) nennt sich dieser Prozess – und wird in Norddeutschland bald im großen Rahmen getestet.

Über 20 Forschungs- und Pilotanlagen gibt es in Deutschland. Die Technik ist bei dem seit 200 Jahren bekannten Verfahren nicht das Problem. Die Wirtschaftlichkeit macht dem großflächigen Einsatz der PtG-Technik einen Strich durch die Rechnung. Konkurrenzfähig ist das Verfahren im Vergleich zu herkömmlich aus Erdgas erzeugtem Wasserstoff nicht.

Wird Wasserstoff noch weiter zu Methan verarbeitet, sinkt der Wirkungsgrad auf etwa 50 Prozent und die Wirtschaftlichkeit schrumpft weiter. Forscher unter der Leitung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben es zwar bereits in der Hochtemperaturelektrolyse und Methanisierung geschafft, einen Wirkungsgrad von über 75 Prozent zu erreichen. Standard ist das aber noch nicht.

100-MW-Pilotanlage in Niedersachsen

Fernleitungsnetzbetreiber Gasunie, Übertragungsnetzbetreiber Tennet und Thyssengas wollen es dennoch versuchen. Denn mit dem Ausbau insbesondre der Offshore-Windenergie könnte künftig Strom immer mal wieder zu sehr niedrigen Preisen oder sogar kostenlos verfügbar sein.

Spätestens 2022 wollen die Kooperationspartner im Bereich der niedersächsischen Tennet-Umspannwerke Diele oder Conneforde eine 100 Megawatt (MW)-Pilotanlage errichten. Es wäre die bisher größte in Deutschland. Allerdings tasten sie sich langsam voran und starten mit einer 20 MW-Anlage, die den grünen Wasserstoff in vorhandene Erdgasleitungen von Gasunie einspeist – bis zu zwei Prozent Wasserstoff sind gesetzlich erlaubt.

Bis 2028 soll jedes zweite Jahr ein neues Modul von 20 MW hinzukommen. Zum Vergleich: Zurzeit entsteht in Norwegen die erste kommerzielle Produktionsanlage, deren regenerativ erzeugter Wasserstoff frei am Markt verkauft wird. Mit einer Anschlussleistung von zehn MW, die 2020 jeden Tag vier Tonnen Wasserstoff hergestellt, wäre die Hy2gen-Tochter Norsk H2 der weltweit größte Produzent von grünem Wasserstoff.

„Element Eins“ nennen die Kooperationspartner das Pilotprojekt im dreistelligen Millionenbereich, mit dem sie vor allem Erfahrungen darin sammeln wollen, wie die Technologie in dieser Größenordnung wettbewerbsfähig betrieben werden kann. Wie das aussehen soll, verrät das Trio nicht. „Ziel des Projektes ist, die sinnvollen Betriebsweisen zu identifizieren und die optimale Einbindung der Anlage an der Schnittstelle zwischen Strom- und Gasnetzen herauszufinden“, teilen die Unternehmen auf Anfrage mit. Bei dem Thema ist allerdings auch der Gesetzgeber gefordert. Um PtG-Anlagen wirtschaftlichen interessanter zu machen, schlägt die Deutsche Energieagentur (Dena) vor, die Stromsteuer und die EEG-Umlage bei der Nutzung von Strom, der in Zeiten von Überschüssen nicht vom Netz aufgenommen werden kann, zu reduzieren.

Umschlagpunkt für Windenergie

Das modulare Konzept der PtG-Anlage hat den Vorteil, dass Conneforde und Diele als Standorte genutzt werden können. Es sind die beiden wichtigsten Netzknotenpunkte in Niedersachsen, an denen On- und Offshore erzeugter Windstrom eingesammelt und verteilt wird. Windstrom aus den Offshore-Windfeldern der Nordsee rund um Borwin und Alpha Ventus landen hier. Zudem liegen hier die Gasleitungen, die norwegisches Gas in die Verbrauchszentren wie den Rhein-Ruhr-Raum transportiert und in denen der grüne Wasserstoff direkt zugefügt wird.

Das Speicherpotenzial alleine im Erdgasnetz mit einer gesamten Länge von rund 500.000 Kilometer wäre schon gewaltig. Wird der Wasserstoff in Methan umgewandelt, kann es unbegrenzt dem Erdgasnetz zugeführt oder als Kraftstoff genutzt werden. Der Wasserstoff kann in Tankstellen für die Mobilität eingesetzt oder der Industrie zur Verfügung gestellt werden. „Gerade die Verbindung von Strom- und Gasnetz bietet große Entwicklungspotenziale“, sagte der niedersächsische Umwelt- und Energieminister Olaf Lies bei der Vorstellung des Projektes. „Aber auch die Nutzung des grünen Wasserstoffs für Mobilität, Wärme und Industrie bietet enorme Chancen. Wir dürfen nicht zu einseitig nur den Strombereich betrachten.“

Erzeugung und Verbrauch entkoppeln

Werden größere Mengen grüner Strom genutzt oder gespeichert, hat das noch einen ganz anderen Vorteil. Die Windkraftanlagen müssen nicht mehr abgeregelt werden, wenn die Netze voll sind. Allein beim Bayreuther Übertragungsnetzbetreiber Tennet verursachen die Kosten zur Stabilisierung des Stromnetzes mehr als eine Milliarde Euro. Kosten, die der Verbraucher auf seiner Stromrechnung wiederfindet.

Tennet schlägt daher gemeinsam mit Shell und Siemens ein neues Ausschreibungsmodell vor. Um die Marktreife von PtG schnell weiter zu entwickeln, soll im Unterschied zu den bisherigen Ausschreibungen für Offshore-Windkapazitäten der Preis für die Wasserstofferzeugung über den Zuschlag entscheiden. Eine im Auftrag der Energieunternehmen erstellte Studie des Beratungsunternehmens E-Bridge kommt zu dem Schluss, dass zwischen 2026 und 2030 Windparks auf See mit bis zu 900 MW Kapazität gekoppelt an Wasserstofferzeugung errichtet werden können. Tennet, Shell und Siemens sind überzeugt, dass damit in kurzer Zeit zusätzliche Offshore-Windkapazitäten erschlossen und die PtG-Technologie marktreif weiter entwickelt werden können.

„Um die Energiewende zu meistern und auf fossile Energieträger verzichten zu können, müssen wir die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vom Verbrauch entkoppeln“, sagt Armin Schnettler, der bei Siemens die Energieforschung leitet. „Hierfür stellt die PEM-Wasserstoffelektrolyse eine Schlüsseltechnologie dar. Die industrielle Nachfrage führt dazu, dass die Leistungsklasse alle vier bis fünf Jahre um den Faktor zehn steigt.“

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