Die Straßenbahn fährt ein. Also: einsteigen, hinsetzen, entspannen. Für die Besitzer von Monatskarten ist das normal und ein wesentlicher Vorteil der Dauertickets, abgesehen von den niedrigeren Kosten für Vielfahrer. Für andere ÖPNV-Nutzer beginnt die Fahrt aber zunächst einmal mit dem Rätselraten vor der Tariftafel. Wie viele Streifen, welches Einzelticket, gibt es Sondertarife?

Die Preisgestaltung für Bus und Bahn bleibt eines der ganz großen Mysterien des modernen Stadtlebens. Und in jeder Kommune läuft es anders. Es nützt also gar nichts, sich in Köln genau mit den Bustarifen auszukennen, wenn man am Leipziger Hauptbahnhof auf die Tram umsteigen will. Fast jede Stadt hat ihr eigenes, kniffliges Tarif-Rätsel ausgearbeitet.

Felix Proehl arbeitet an der Abschaffung dieses Chaos. Sein Start-up BlueGo entwickelt eine automatische Ticketbuchung. Die Kunden nehmen das öffentliche Verkehrsmittel ihrer Wahl – und die Abrechnung funktioniert dann ganz automatisch, ohne Kopfzerbrechen oder Zeitverlust am Automaten. Dazu ist keine zusätzliche Infrastruktur nötig, denn das System greift auf das Smartphone des Fahrgasts zurück. Das macht die Lösung wesentlich billiger als Konkurrenzangebote.

Tests in Augsburg

Der 24-jährige Betriebswirt Proehl und seine Mitgründerin Marina Weinehl haben die Idee an der Hochschule München entwickelt. Inzwischen verhandeln die jungen Unternehmer mit immer mehr Verkehrsbetrieben. „Das ist für die ein ganz heißes Thema“, erzählt Proehl. Er meint den Vorgang, der unter dem Fachbegriff „Be-In/Be-Out“ abläuft: die Nutzung von Verkehrsmitteln ohne aktiven Ticketkauf. Buchung, Bezahlung und Abrechnung geschehen automatisch. Das Smartphone erkennt die gefahrene Strecke, im Hintergrund sucht die App nach dem günstigsten Tarif und erledigt auch alle anderen Schritte. „Das ist für die Kunden viel bequemer und oft sogar günstiger. Wir finden heraus, wenn zum Beispiel ein Tagesticket günstiger wäre und buchen das dann auch“, sagt der Gründer.

Als Erster testet nun die Stadt Augsburg das innovative System. Deren Verkehrsbetriebe sind offensichtlich besonders aufgeschlossen für neue Wege im ÖPNV. So sollen in bestimmten Teilen der Augsburger Innenstadt die Menschen bald kostenlos Bahn und Bus fahren können. Damit wäre die Schwaben-Metropole die erste deutsche Großstadt mit einem solchen Angebot.

In den restlichen Bereichen kommt dann BlueGo zum Einsatz. Bei der Kooperation mit dem Start-up sind die Verkehrsbetriebe experimentierfreudig. Die Zusammenarbeit soll die Digitalisierung des gesamten ÖPNV voranbringen. Dazu wurde für Augsburg eine eigene App erstellt, die künftige Nutzer des Bequem-Ticketings brauchen. Nötig ist diese App eigentlich nicht, denn künftig will BlueGo seine Technik direkt in die App der jeweiligen Verkehrsbetriebe integrieren.

Durch Datenanalyse den ÖPNV entlasten

Das Start-up muss keine Infrastruktur liefern, denn wie in Augsburg kann alles über die Smartphones der Passagiere abgewickelt werden. Das spart Kosten, denn die Ausstattung riesiger Bahn- und Busflotten mit Sendern wäre sehr aufwendig. Lediglich in Städten mit U-Bahnen benötigt das System Beacons, also Mini-Sender in den unterirdischen Bahnhöfen.

BlueGo liefert eine reine Softwarelösung, die nur kurzfristig auf die Daten der Verkehrsbetriebe zurückgreift. Eine dauerhafte, direkte Anbindung wäre zu kompliziert, denn jede Stadt hat auch hier ein eigenes System. Oft wird das von Drittanbietern geliefert, die mit dem Start-up kooperieren müssten. „Andocken an die Systeme der Verkehrsbetriebe wäre für uns schlimm“, sagt Proehl. Er setzt auf eigene Datenbanken, auf denen die Berechnungen ablaufen.

Mit solchen laufend erhobenen Daten könnte der Nahverkehr sogar entlastet werden, glaubt Proehl. „Wir könnten genaue, anonyme Fahrtenanalysen bieten. Das wäre eine perfekte Grundlage für Verbesserungen im ÖPNV-Angebot“, sagt der Jungunternehmer. Tatsächlich wäre diese Analyse wohl deutlich aussagekräftiger als die per Hand erstellten Fahrgastbefragungen, die heute noch von vielen Betreibern erhoben werden.

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