Die Batterie im Nissan Leaf ist längst voll, doch der Fahrer lässt den Chademo-Stecker drin. Sein Fahrzeug dient als Puffer und gibt Energie bei Bedarf ans Stromnetz zurück. Die Mitarbeiter in der Leitwarte vom Übertragungsnetzbetreiber Tennet sehen das auf ihren Monitoren und können die Batterie als Puffer nutzen.

„Wir untersuchen, ob sich mit der Vehicle-to-Grid-Technologie Netzengpässe auflösen lassen“, sagt Ulrike Hörchens, Sprecherin von Tennet. Der niederländische Konzern betreibt 23.000 Kilometer Hoch- und Höchstspannungsnetze. Ende Mai ist das Vehicle-to-Grid-Pilotprojekt (V2G) gemeinsam mit Nissan und dem Münchner Mobility House gestartet.

Acht Nissan Leaf, jeweils die Hälfte in Nord- und Süddeutschland stationiert, werden als Dienstfahrzeuge von Tennet-Mitarbeitern genutzt. Stehen die Räder still, dienen die Batterien als Speicher.

Engpässe verursachen hohe Kosten

Das deutsche Stromnetz ist schlecht auf die Energiewende vorbereitet. Konventioneller Strom wird gleichmäßig über den Tag verteilt produziert, und die Kraftwerke liegen in der Regel unweit der Ballungszentren, eben da, wo die meisten Verbraucher sind. Wind und Sonne haben Hochs und Tiefs. Windstrom aus dem Norden wird oft im Süden des Landes benötigt.

Je stärker Wind über einen der Windparks im Meer fegt, desto gravierender bekommt Tennet die vorhandenen Engpässe im Stromnetz zu spüren. Es gibt zu wenige Höchstspannungsverbindungen von Nord nach Süd, als auch geschichtlich bedingt, von Ost nach West. Länder wie etwa Italien oder Portugal haben früh auf Gaskraftwerke gesetzt, die sich flexibel hoch- und herunterfahren lassen – Kohle kann das nur eingeschränkt. Deshalb stockt die Integration von Ökostrom ins deutsche Netz.

Von den vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland reicht das Tennet-Gebiet als einziges von Nord- und Ostsee bis an die Alpen. Taucht auf dem Transportweg in den Süden ein Engpass auf, bleiben zwei Möglichkeiten: Windräder aus dem Wind drehen und der sogenannte Redispatch. Bei letzterem weist Tennet klassische Kraftwerksbetreiber im Norden an, ihre Kapazität zu drosseln. Gleichzeitig werden Kraftwerke im Süden, die hinter dem Netz-Engpass liegen, angewiesen ihre Werke hochzufahren. Die Strommenge für den Tag bleibt gleich, es ist lediglich eine Produktionsverlagerung.

Beide Methoden sind unbeliebt: Dreht man Windräder aus dem Wind, verschenkt man sauberen Strom. Der Redispatch ist so streng reguliert, dass Kraftwerksbetreiber an der Produktionsverschiebung nichts verdienen. Tennet hingegen musste im Jahr 2016 rund 800 Millionen Euro für die Umgehung von Engpässen und die Netzstabilisierung ausgeben. Kosten, die über Netzentgelte letztendlich vom Stromkunden getragen werden.

Bidirektionales Laden schafft Flexibilität

Die Herausforderungen der dezentralen als auch schwankenden Stromproduktion dürften in den kommenden Jahren noch zunehmen. Die große Koalition will den Anteil erneuerbarer Energie von aktuell 32 auf etwa 65 Prozent im Jahr 2030 verdoppeln. Unterirdische Gleichstromleitungen mögen Transportengpässe reduzieren, doch wird tagsüber viel Sonnen- und Windstrom produziert, muss der für die Abendstunden irgendwo gespeichert werden. Hier bieten sich Elektroautos an, da sie wie klassische Autos auch, die meiste Zeit des Tages stehen.

„Dank der Vehicle-to-Grid-Technologie werden Elektrofahrzeuge zu einem festen Bestandteil des Energiemanagements der Zukunft. Die Tatsache, dass Unternehmen diese Technologie erstmals einsetzen, ebnet den Weg für eine breit angelegte Nutzung in ganz Europa“, sagt Gareth Dunsmore, Direktor Elektrofahrzeuge bei Nissan Europe.

Im Pilotprojekt hat man sich für den Leaf von Nissan entschieden, weil das Schnellladesystem Chademo bidirektionales Laden, also Auf- und Entladen, unterstützt. Das CCS-System der europäischen Autohersteller muss hier noch nachrüsten.

The Mobility House aus München steuert zum Pilotprojekt die Controller in den Ladesäulen sowie Software bei, sodass alle Daten der drei Partner gebündelt und in der Leitwarte von Tennet für die Netzsteuerung sichtbar werden. „Uns geht es darum, zu zeigen, dass V2G kommerziell sinnvoll als auch nutzbar ist“, sagt Thomas Raffeiner, CEO und Gründer vom Mobility House. Die vier Nissan Leaf im Norden dienen vor allem als Puffer. Sie „verfahren“ die gespeicherte Energie. Die vier Fahrzeuge im Süden nutzen die bidirektionale Lademöglichkeit des Chademo-Anschlusses. Energie wird von der Batterie wieder ins Stromnetz geleitet. Das Pilotprojekt wird Anfang 2019 ausgewertet. Aussagen über die Wirksamkeit für die Behebung von Netzengpässen seien auch bei der kleinen Zahl von Testfahrzeugen möglich, so die Beteiligten.

Politik muss neue Regeln festlegen

Bis die Fahrer eines Elektroautos von der V2G-Technik profitieren, dürften noch einige Jahre vergehen. Zum einen sind bidirektionale Ladesäulen sehr teuer, zum anderen ist das Einspeisen vom Strom ins öffentliche Netz streng reguliert.

In den Niederlanden testet Tennet zusammen mit Mitsubishi, New Motion und Enel die V2G-Technologie zur Reduktion von Lastspitzen. Das Start-up Jedlix aus Rotterdam zahlt monatlich kleinere Geldbeträge, wenn Elektroautobesitzer dem lokalen Netzbetreiber die Batterie als Puffer zur Verfügung stellen.

Damit das hierzulande Realität wird, muss die Politik neue Regeln schaffen, wer, wann, wie viel Energie in das Stromnetz einspeisen darf. Die Ergebnisse des aktuellen Pilotversuchs dürften auch als Argumentationsgrundlage in Richtung Politik dienen. Schließlich heißt es bereits im aktuellen Koalitionsvertrag: „Wir wollen durch eine stärkere Marktorientierung der Erneuerbaren Energien Investitionen in Speichertechnologien und intelligente Vermarktungskonzepte fördern.“

Somit stehen die Chancen für das „Internet of Storage“, wie es Thomas Raffeiner nennt, sehr gut. Die Software aus seinem Haus berücksichtigt natürlich auch die Bedürfnisse der Fahrer. Raffeiner: „War der Tennet-Mitarbeiter den ganzen Tag an einer Trafostation tätig und möchte abends mit dem Nissan Leaf nach Hause fahren, lassen wir ihm natürlich ausreichend Energie für den Heimweg in der Batterie.“

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