Alejandro Agag kommt mit einem breiten Grinsen zum Interview, seine Begrüßung ist herzlich: „Willkommen in Rom. Wie geht es Ihnen? Mir geht es gut, sehr gut.“ In der Tat: Sämtliche Eintrittskarten für das Rennen der – Achtung: so heißt sie tatsächlich offiziell – ABB FIA Formula E-Weltmeisterschaft in der ewigen Stadt waren schon nach einem Tag verkauft und mit rund 35.000 Tickets waren es obendrein deutlich mehr als im Vorjahr. „Wir haben überraschenderweise sogar 4000 Tickets für den Freitagnachmittag verkauft“ – an dem es außer einem Systemtest für Besucher eigentlich nicht viel zu sehen gibt. Und schon in der Woche davor hatte Agag Delegationen von zehn Städten aus aller Welt empfangen, die sich als Austragungsort für ein Rennen in der nächsten Saison bewarben. Am meisten freute den kleinen drahtigen Spanier aber ein Interview, das der langjährige Formel-1-Herrscher Bernie Ecclestone der Nachrichtenagentur Reuters gegeben hatte. Kernaussage dort: Die Formel 1 ist die Vergangenheit, die Formel E die Zukunft des Motorsports. „Ich habe es nicht glauben können und ihn sofort angerufen. Da hat er die Aussage mir gegenüber sogar noch einmal bekräftigt.“ Agags Grinsen wird dabei noch breiter als zuvor. Schließlich hatte Ecclestone ihm vor fünf Jahren noch erklärt, dass Rennen mit Elektroautos eine Schnapsidee sei und er nie ein Starterfeld, geschweige denn eine Piste finden würde, auf der er die Rennen austragen könne.

Akkus größer, Autos schneller

So schnell ändern sich gelegentlich die Ansichten. Im fünften Jahr und nach bislang 53 Rennen ist die Formel E populärer und auch wirtschaftlich erfolgreicher denn je. Und Witze reißt über das Rennen mit Elektroautos durch die Großstädte dieser Welt niemand mehr. Zumal die futuristisch gestylten Boliden der zweiten Generation inzwischen auch die komplette Renndistanz mit nur einer Akkuladung zurücklegen können und die Höchstgeschwindigkeit mit Rücksicht auf dem Elektromotoren nicht mehr bei 225 km/h abgeregelt wird. Leistungsstärkere Motoren mit bis zu 250 Kilowatt sowie Batterien mit größerer Speicherkapazität (52 statt wie anfangs nur 28 Kilowattstunden) sorgen für mehr Rasanz und für Spitzengeschwindigkeiten von 280 km/h, der schrittweise Abschied von den Einheitsautos der Anfangsjahre (der Antriebsstrang und die Steuerungssoftware liegen inzwischen in den Händen der elf Teams) fördern den Wettbewerb.

Dies erhöht ebenso die Spannung im Rennen wie die Einführung von „Fan-Boost“ (bei der die Zuschauer via Fan-Voting ausgewählten Fahrern einmalig 100 Kilojoule Extra-Energie spendieren können) oder die Einführung des „Attack-Mode“: Bei der Fahrt über Induktionsschleifen in der Fahrbahn erhöht sich die Leistung des Elektromotors für eine von der Rennleitung festgelegte Dauer und Häufigkeit um 25 Kilowatt. Auf diese Weise zog beim Rennen in Rom Mitch Evans in seinem giftgrünen E-Jaguar nach einem harten Zweikampf doch an Andre Lotterer vorbei, der mit seinem goldenen DS aus der Pole Position gestartet war und lange geführt hatte.

All die Maßnahmen haben die Attraktivität der Serie spürbar erhöht. Längst balgen sich nicht nur Großstädte um die Aufnahme in den Veranstaltungskalender und Besucher um die Eintrittstickets. Immer mehr große Autohersteller drängen in die Serie. Audi, BMW, der PSA-Konzern mit DS, Jaguar und Nissan sind bereits an Bord, in der kommenden Saison werden auch Mercedes und Porsche an den Start gehen. Und auch um Sponsoren – und damit Finanziers des Rennzirkus‘ muss sich Agag längst keine Gedanken mehr machen. ABB ist für geschätzte 12,5 Millionen Titelsponsor der Rennserie, Voestalpine für einen nach eigenen Angaben „niedrigen einstelligen Millionenbetrag“ zwei Jahre lang Hauptsponsor der Rennen in Europa. Mit von der Partie sind zudem die Schweizer Bank Julius Bär und der Reifenhersteller Michelin, die Allianz-Versicherung, die Deutsche Post DHL, Bosch, Bosch, der Bierbrauer Heineken, der IT-Spezialist Modis und der Energieversorger Enel.

Sie alle wollen sich mit ihrem Engagement als zukunftsorientierte Unternehmen präsentieren: jung, agil und innovativ, umweltbewusst und als Treiber einer nachhaltigen Mobilität. Die Zukunft fährt bekanntlich elektrisch – und kann von den Besuchern bei den Rennen durch die Straßenschluchten von Weltstädten wie Rom und Hongkong, Paris, Berlin und New York hautnah miterlebt werden. Die Autohersteller und ihre Zulieferer wie Voestalpine und Schaeffler erhoffen sich davon eine Werbung für ihre elektrogetriebenen Serienfahrzeuge, aber auch eine Weiterentwicklung technischer Komponenten und Softwaresteuerungen, die übrigen Partner zumindest einen Imagegewinn.

Überlebenskampf war gestern

„Um das Überleben müssen wir heute nicht mehr kämpfen“, freut sich Agag. Anfangs habe die Organisation die Kosten der Rennen allein schultern müssen. Inzwischen beteiligten sich auch die Städte an den Kosten, so dass die Lasten nicht nur deutlich geringer seien, sondern, so deutet Agag an, unter dem Strich für den Organisator auch noch ein Gewinn bleibe. „Die Herausforderungen sind immer noch sehr groß“ – aber inzwischen beherrschbar. Kein Wunder, dass sogar ein Ecclestone inzwischen zu dem Schluss gekommen ist, dass das wirtschaftliche Potenzial der Formel E größer sei als das der „Königsklasse“ Formel 1.

Gradmesser dafür ist auch das wachsende Interesse der TV-Sender, die Rennen zu übertragen: Die Formel E wird in Deutschland nicht nur von Eurosport, sondern auch von den Staatssendern ARD und ZDF übertragen. Und in den sozialen Medien hat die Formel E weltweit eine auch für die Sponsoren hochinteressante, weil junge Fangemeinde, mit über 180.000 Followern auf Twitter und knapp 400.000 Abonnenten bei YouTube.

 

Berlin steht auf der Streichliste

Dennoch bleibt Agag vorsichtig: „Mir müssen mit den Füßen auf dem Boden bleiben.“ Die Autohersteller würden gerne noch mehr Freiheitsgrade bei der technischen Entwicklung bekommen, zum Teil auch gerne das Wochenend-Programm verdichten, beispielsweise mit zwei Rennen am Freitag und Samstag. Eine andere Fraktion würde gerne den Rennkalender erweitern, mit mehr Rennen in mehr Städten. Aber Agag steht in beiden Punkten (noch) auf der Bremse – aus Sorge um die Kosten und mit der Befürchtung, dass dann ähnlich wie in der Formel 1 bald die Schere aufgehen würde zwischen den reichen Hersteller-Teams und ärmeren Privatteams ohne riesige Entwicklungsabteilungen und eigene Windkanäle. „Zwei Rennen am Wochenende würde bedeuten, dass es nicht nur einen Sieger, sondern zwei Sieger gibt.“

Und bei zwei Rennen müsste es dann auch mehr Trainings-Sessions geben – eine Vorstellung, die dem Organisator gar nicht behagt: „Die sammeln dabei Unmengen von Daten, die dann bei den Autoherstellern von Hunderten von Ingenieuren über Nacht analysiert werden, um die Performance des Autos zu verbessern.“ Das würde zwangsweise zu Ungerechtigkeiten führen. „Die Mitglieder der Teams sind wie Kinder: Wenn man sie lässt, würden sie Unmengen von Geld ausgeben, um sich gegen die anderen zu behaupten.“ Dass immer mehr Autohersteller in die Serie drängen, sei, na klar, gut, weil sie auch neue Gelder und eine neue Klientel mitbrächten („All unsere Hospitality-Plätze im E-Village sind nun bereits für die nächsten drei Jahre ausgebucht“). Aber er werde ihnen trotzdem keine Möglichkeit einräumen, seinen Businessplan zu verändern: „Die Formel E ist deshalb so erfolgreich, weil die Hersteller im Unterschied zur Formel 1 keinen Einfluss auf die Leitung haben. Wir hören ihnen zu, aber wir treffen die Entscheidungen. Deshalb: „Es bleibt bei einem Renntag.“ Basta.

Blau ist die Zukunft
Ein Schritt weiter in Richtung Wien: Voestalpine sponsert eine Art Europameisterschaft der Formel E – und hofft so die Rennserie nach Österreich locken zu können.

Aber natürlich denkt er daran, wie er die Formel E auf die nächste Entwicklungsstufe heben kann, durch den Eintritt in neue Märkte, durch neue Partnerschaften, neue Plattformen und auch neue Austragungsorte. In China erreiche man, erzählt Agag voller Stolz, unter anderem durch eine enge Zusammenarbeit mit China Media Capital und vielfältige Aktivitäten im Internet inzwischen rund 600 Millionen Menschen. Ein weiteres Rennen neben dem in Hongkong und Sanya scheint deshalb denkbar. Auch in Europa sieht er mit Blick auf die wachsende Bedeutung der Elektromobilität noch Wachstumschancen: Der Finallauf in der nächsten Saison, so viel steht schon fest, wird in London stattfinden. New York, wo in dieser Saison die Finalläufe stattfinden, bleibt aber im Kalender. Und Wien kann sich wohl große Hoffnungen machen, neuer Austragungsort zu werden – eine stärkere Unterstützung von Sponsor Voestalpine und eine Zustimmung der Stadtverwaltung vorausgesetzt. Hinter Berlin hingegen, wo der Rennzirkus am 25. Mai Station macht, steht offenbar noch ein Fragezeichen – aufgrund der autofeindlichen Haltung des rot-rot-grünen Senats dort ist die Formel-E-Organisation offen für Angebote anderer deutscher Städte für die kommenden Jahre. Agag hält sich bedeckt, mag keine Namen nennen, pokert wohl auch ein wenig: „Es ist noch nichts entschieden.“

Fusion mit der Formel 1 nach 2026?

Seine Verhandlungsposition war allerdings auch noch nie besser als jetzt, da selbst eine Motorsportgröße wie Ecclestone die großen Entwicklungspotenziale der Formel E anerkennt und selbst ein Formel-1-Weltmeister wie Fernando Alonso – mit dem Agag eng befreundet ist – einen Wechsel in die E-Serie vorstellen kann. Wird möglicherweise die Formel E sogar eines Tages die Formel 1 ersetzen? Auch wohl um den Dachverband FIA nicht zu verärgern, der beide Rennserien offiziell organisiert, gbit sich der Formel-E-Gründer diplomatisch: „Die Formel 1 hat etwas, was wir nie haben werden: Die Geschichte von 1000 Rennen – von denen Bernie etwa 800 organisiert hat. Wer dort gewinnt, ist ein Nachfolger von Helden wie Fangio, Senna, Schumacher oder auch Alonso.“

Aber es könnte passieren, dass sich die Formel E und die Formel 1 eines Tages, „in zehn oder 15 Jahren, sicher nicht in fünf Jahren“, zusammentun, weil dann in beiden Rennserien Elektroautos an den Start gehen: Das aktuelle Motorenreglement in der Formel 1 läuft im kommenden Jahr aus – derzeit weiß in der Rennserie keiner, was danach kommt. Ganz anders in der Formel E. „In der vierten oder fünften Generation werden die Formel E-Autos werden sicher mindestens genauso schnell sein wie die Formel-1-Autos heute, also mit 350 Km/h auch ein bis zwei Stunden mit einer Akkuladung fahren können.“ Bei einem Elektroauto sei es leicht, die Leistung des Antriebs so regulieren, damit es sowohl auf engen Stadtkursen als auch auf klassischen Rennstrecken fahren könne. Agag: „Ob ich dann noch dabei sein werde oder mein Leben in einem meiner Sommerhäuser genieße, kann ich nicht sagen.“

Freude an der Formel E hat er aber jetzt schon. So kann es weitergehen.

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