Emden ist eine beschauliche Stadt mit Hafenflair. Touristen lassen in der norddeutschen Provinz ihre Seele baumeln, genießen Bootsfahrten und Radtouren am Deich. Hinter den Kulissen ist die Heimatstadt von Otto Waalkes aber alles andere als beschaulich. Denn Emden befindet sich in Aufbruchsstimmung. Die Stadt in Ostfriesland ist auf dem Weg, der Welt zu zeigen, dass Digitalisierung nicht an der Deichkrone endet.

„Wir müssen den Markt digital machen – mit uns als Treiber“, sagt Manfred Ackermann, Geschäftsführer der Stadtwerke, ganz selbstbewusst. „Ich glaube, dass wir uns die neue digitale Welt aufbauen und mit dem klassischen Geschäftsfeld verbinden müssen.“ Mit „klassisch“ meint er den Verkauf von Strom, Gas und Wärme. Das große Geld verdienen viele Stadtwerke damit nämlich nicht mehr. Konkurrenz kommt etwa von privaten PV-Anlagen auf dem eigenen Hausdach. Das stellt nicht nur die Netze vor große Herausforderungen, auch die Welt der Energieversorger verändert sich. „Es gibt keine Digitalisierungsstrategien, nur Strategien in einer digitalen Welt“, antwortet Ackermann kernig auf die Herausforderung – für ihn ist es notwendig, in eine neue Zeit aufzubrechen.

Wie das aussieht, beschreibt eine digitale Roadmap, die die Stadt bis 2030 umkrempeln soll. Ein ungewöhnlicher Ansatz, für den sie den „Stadtwerke Award 2017“ erhalten haben. Vergeben hat den Award die Stadtwerke-Kooperation Trianel zusammen mit dem Veranstalter Innovation Congress und der Zeitung für kommunale Wirtschaft. Emden hat sie mit dem Konzept zu Entwicklung eines CO2-neutralen Produktionsstandorts überzeugt, der gleichzeitig ein attraktives Arbeits- und Lebensumfeld für die Anwohner bietet. Dafür wird die gesamte Energieinfrastruktur zu einem intelligenten, rein regenerativen und weitgehend autarken System umgebaut.

Heute schon mehr Windstrom als benötigt

Rechnerisch können die Stadtwerke mit 40 Megawatt (MW) Windstrom bereits heute mehr sauberen Strom bereitstellen, als die Haushalte der Region brauchen. Die über 100 MW Strom aus Windenergie, die in ganz Emden produziert werden, reichen sogar für das ansässige VW-Werk, den größten Arbeitgeber der Region. Strom aus Offshore-Windparks kommt ebenfalls in Emden an. Bisher geht der aber nach Süddeutschland weiter oder landet an der Börse. Ein Stromverbrauch vor Ort ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen – auch wenn Ackermann sich schon eine Nutzung vor Ort vorstellen könnte. Zukunftspläne eben.

„Emden ist ein tolles Beispiel für eine Stadt, die ihre Energiezukunft in die Hand nimmt“, zeigte sich auch Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (dena), bei einem Besuch in der ostfriesischen Stadt beeindruckt. „Die ganze Stadtgesellschaft schafft sich eine lebenswerte Perspektive. Das steigert auch die Attraktivität der Stadt als Wirtschaftsstandort“, sagt er. „So könnte die Energiewende von unten funktionieren.“ Dass Emden sich geschickt vermarktet, zeigt auch dieses Video:

Im Alleingang können Ackermann und seine Stadtwerke die norddeutsche Seehafenstadt dann aber doch nicht verändern. Nur zusammen mit der Wirtschaftsförderung und der Stadtverwaltung ergibt es für ihn Sinn. Bei der Digitalisierung verschwimmen Grenzen, so dass die Zusammenarbeit unumgänglich ist. Das machen die geplanten Projekte deutlich.

Ein Geografisches Informationssystem (GIS) soll aufgebaut, eine Internet-of-Things-Plattform eingerichtet, Smart Meter installiert und Breitband ausgebaut werden. Verkehr und Parkraum sollen intelligent gesteuert und die Stadt mit Sensorik für autonomes Fahren gerüstet werden. Und auch die Elektromobilität muss in der Autostadt Emden ankommen. Hier ist Ackermann allerdings skeptisch. Von öffentlichen Ladesäulen hält er beispielsweise nicht so viel. „Es würde mich nicht wundern, wenn in ein paar Jahren Wasserstofffahrzeuge auf den Markt kommen und festgestellt wird, dass Elektromobilität nicht der Weisheit letzter Schluss ist“, meint der Stadtwerke-Chef.

„Emden-App“

Um die verschiedenen Projekte zu koordinieren wurde die „Emden Digital GmbH“ gegründet. Für die ersten Jahre rechnet Ackermann mit Investitionen von zwei bis drei Millionen Euro. „Aber wir wissen schon, dass es mehr wird.“ Nicht nur die chronisch klammen Kassen sind eine Herausforderung. „Kommunen waren bisher von Kontinuität geprägt. Die Digitalisierung bringt eine Dynamik rein, mit der wir erst Mal umgehen müssen“, so Ackermann. „Auch die Unternehmenskultur muss sich weiterentwickeln.“

Dass soll nicht nur gut für die Stadtwerke und die Stadt sein. Emden soll als Standort für Unternehmen attraktiver werden und Absolventen der Hochschule sollen vor Ort Jobs finden. Auch für die Anwohner soll die Digitalisierung das Leben angenehmer machen. Ein Projekt ist beispielsweise die Emden-App, die Nachrichten aus der Stadt, kulturelle Events und Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs anzeigt. Die App ist zwar keine Erfindung, die die Welt in Staunen versetzt. Aber sie zeigt, dass die Menschen ihren Ort mögen und die Digitalisierung ihr Leben erleichtern kann.

Innerhalb eines Monats haben immerhin 10.000 Menschen in der 50.000-Einwohner-Stadt die App heruntergeladen. Für Manfred Ackermann ist sie ein Teil des neuen, digitalen Emden. Das schreibt er seiner Stadt mit noch so einem markigen Spruch ins Stammbuch: „Digitalisierung ist keine Option, sondern das zukünftige Umfeld für Unternehmen und Regionen.“

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