Blockchain, Artificial Intelligence, Internet of Things, neural networks, smart contracts. Wie bitte? Mit welchen veganen Nerds reden wir hier eigentlich gerade? Wir sind doch bei Porsche, oder? Keine Zündschlüssel, keine Schalensitze, kein röhrender Sechszylindersound, keine fetten Reifen. Weit und breit kein Sportwagen in Sicht.

Statt dessen: Tische aus rohen Holzpaletten, gelbe Designersessel, giftgrüne Raumteiler, ein paar Whiteboards, nackte Betonwände und kuschlige Sofaecken zum Brainstormen. Im Kühlschrank lagern Rhabarberlimonade und Bier, auf den riesigen Arbeitsplatten stehen Computer und Laptops ohne Ende. Hunderte von bunten Klebezetteln zieren die Wände und coole Sprüche wie: „Wir sind die Geilsten hier!“ oder das Dom-Cobb-Zitat „We need to go deeper!“. Vor der Tür ein schwarzes Fahrrad und ein orangeroter Emmy-Elektroroller. Willkommen im Berliner Porsche Digital Lab.

Was auf den ersten Blick so wunderbar entspannt aussieht, ist alles Teil der neuen Porsche-Strategie. Denn nach den klassischen Brumm-Brumm-Rekorden will das Unternehmen die PS-Branche nun auch bei der digitalen Transformation und neuen Mobilitätslösungen überholen. Neues Ziel des Rendite-Weltmeisters ist es, „mittelfristig einen zweistelligen Prozentsatz des Umsatzes mit digitalen Diensten zu erwirtschaften.“ Wir erinnern uns: Vor gut zehn Jahren galt bei den alten Puristen der Marke selbst ein mickriges Navi im Neunelfer als peinliches Zugeständnis. Inzwischen gibt es international eine jüngere Porsche-Klientel, die auf neue digitale und multimediale Themen abfährt.

Jung, international, flexibel

Und dieses hauptstädtische Denklabor spielt fürs revolutionäre Digitale eine ziemlich wichtige Rolle. „Wir verbinden hier die alten Traditionen von Porsche mit den neuen digitalen Technologien“, sagt Anja Hendel, die gemeinsam mit Mahdi Derakhshanmanesh ein junges, internationales Team leitet. Hendel ist Digitalprofi und Wirtschaftsinformatikerin, Derakhshanmanesh mit viel Softwarehintergrund mehr für die technische Führung des Labs zuständig. Ihr Team besteht hauptsächlich aus Programmierern, Software- und Technologie-Experten. Deren Arbeitszeiten sind komplett flexibel, starre Raster sind Vergangenheit. Die Rezeption öffnet um acht, das übrige Timing des Tages bestimmen die aktuellen Projekte und natürlich diverse Meetings.

Fast logisch: Das aktuelle Durchschnittsalter der Mannschaft liegt unter 30 Jahren. Also eine Art Jugend forscht, gesponsert von Porsche? Nichts da. „Es geht hier nicht darum, irgendwelche tollen Apps zu bauen. Wir prüfen alles auf die Anwendbarkeit bei Porsche“, erklärt Derakhshanmanesh. Und dabei gehe es auch um die digitale Verbesserung von Produktionsprozessen, sogar um das firmeneigene Rechnungswesen.

Die Blockchain im Auto

Und erste spannende Ergebnisse gibt es auch schon, beispielsweise beim Schlagwort Blockchain. Dabei geht es hier nicht um die Entwicklung einer schwäbischen Kryptowährung, sondern um ein Datenbankkonzept, vergleichbar mit einem Kassenbuch, in dem alle Transaktionen eingetragen werden – schnell, transparent, fälschungssicher und ohne Server-Umwege. Eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen („Blöcke“), die mit kryptografischen Verfahren verkettet sind und zum Beispiel als Protokoll für Datentransaktionen zwischen Geschäftspartnern genutzt wird. Das Ganze haben die Lab-Techies in Kooperation mit dem hauptstädtischen Start-up XAIN erfolgreich in einen aktuellen Porsche Panamera verpflanzt. Und damit sind die Zuffenhausener nun die ersten beim Blockchain-Einsatz im Auto.

Laut Porsche hat die Technologie enormes Potenzial. Man könne damit Daten schneller und sicherer übertragen und dadurch den Kunden mehr Komfort und Service bieten, sei es beim Öffnen und Schließen des Autos per App, beim Parkservice oder um Dritten, wie etwa Paketzustellern oder Freunden, sicher und nachvollziehbar den Zugang zum Fahrzeug zu erlauben — auch aus der Ferne. Der Kunde könnte auch Schwarmdaten nutzen oder mit künftigen Elektroautos von Porsche wie dem Mission E absolut IT-sicher den gerade geladenen Strom an jeder Säule ohne Karten automatisch vom Konto abbuchen lassen („Plug and Charge“).

Reparieren nach Klang

Was Schlaues für die Produktion ist hingegen das mit künstlicher Intelligenz arbeitende Sound-Detective-System, das vom Digital Lab mit dem Start-up iNDTact entwickelt wurde. Es erkennt schon kleinste Abweichungen im individuellen Klang, den jede Maschine erzeugt — und schlägt dann Alarm. Das System ist also quasi eine Art prophylaktische Instandhaltung (Predictive Maintenance), um Ausfallzeiten zu minimieren. Immer im Dienst, immer wachsam — von klassischen Wartungsintervallen kann man sich damit verabschieden. Das System lässt sich auch am Band bei der Montage eines Porsche-Kabelbaums einsetzen — hier geht es dann ums definierte Klick-Geräusch beim richtigen Einrasten der Steckverbindungen in der Karosserie. Nebenbei lässt sich das Programm auch lukrativ an andere Autohersteller verkaufen. „Das braucht Porsche ja nicht exklusiv“, sagt Anja Hendel, „das kann auch ein Daimler einsetzen.“

Sie verrät auch, mit welcher schrägen Idee das Berliner Team in dieses Thema gestartet ist. „Versuchskaninchen war nämlich die Kaffeemaschine unseres Labs.“ Die wurde mit einem einfachen USB-Mikrofon und einem im Internet bestellten Billig-Minicomputer (Raspberry Pi), dessen Platine nicht größer als eine Kreditkarte ist, so bestückt, dass äußere Geräuscheinflüsse keine Rolle spielten. Mit dem Sound, den Espresso, Tee, Kaffee und Co. machten, wurde anschließend die künstliche Intelligenz (Artificial Neural Network) angelernt, die danach jedes Geräusch und jede Abweichung detailliert zuordnete. „Am Ende haben wir dem Produktionskollegen in Zuffenhausen das Ganze vorgeführt, um zu zeigen, was diese Technik, deren Hardware fast nichts kostet, so alles kann“, sagt Hendel.

Und weitere Projekte? Aktuell arbeitet das Lab zusammen mit dem Start-up „Autobahn“ an einem neuen, heißen Thema, doch Hendel will dazu noch nicht viel verraten: „Darüber dürfen wir leider noch nicht reden.“ Autobahn, so das Selbstporträt, sieht sich als „Innovationsplattform, die Start-ups Zugang zu Silicon Valleys unvergleichlichem Tech-Know-how und bester deutscher Hardware-Kompetenz ermöglicht.“ Klingt auf jeden Fall spannend.

Networken mit Fingerfood

Ebenfalls spannend ist der „First Tuesday“ des Porsche Digital Labs. Jeden ersten Dienstag im Monat sind Berliner Start-ups zu einem aktuellen Thema eingeladen. Dort können sie ihre Ideen vor den Spezialisten, ähnlich gelagerten Start-ups und potenziellen Investoren „pitchen“ (Neudeutsch für präsentieren). Beim anschließenden „Networken“ (Diskutieren) mit „Fingerfood“ (das kennen Sie) kommt es vielleicht sogar schon zum „Fundraising“ (Geld einsammeln). Der Porsche-Treff ist mittlerweile so beliebt, dass die Anzahl der Teilnehmer auf 150 begrenzt wurde. „Wir hatten hier nämlich schon mal 400 Registrierungen“, sagt Mahdi Derakhshanmanesh.

An diesem Abend heißt das Thema „Smart City“ und im Lab ist es rappelvoll. Vier Start-ups stellen sich im Fünf-Minuten-Takt vor. Alles auf Englisch natürlich, kurze Videos inklusive. Danach eine Fragerunde und zack, der Nächste bitte. Dominik Wörner und Anja Welbers erzählen etwas über das internationale Start-up Insights, „das Entscheidern durch einen IT-Analyseprozess konstruktive Ratschläge direkt von ihren Stakeholdern“ (Anspruchsgruppen) bringen soll.

Vier Start-up-Präsentationen in 20 Minuten

Mario Paladini darf die „Smart City Registration“ von AiRelo bewerben, die bei der Anmeldung im Bürgeramt in einer neuen Stadt unglaublich viel Geld, Zeit und Nerven sparen soll. Und What3Words, die die Welt in drei mal drei Meter große Quadrate aufgeteilt haben, wollen in großen Städten, aber auch auf dem Dorf mit einer einmaligen Drei-Wörter-Adresse helfen, dass wir immer auf den Meter genau dort ankommen, wo wir hinwollen — am richtigen Haus, am richtigen Eingang. Die Vortragende Clare Jones bekommt dafür viel Beifall, denn auch das Porsche Lab war in der Dunkelheit auf dem großen Ex-Hafengelände nicht gleich zu finden.

Und schließlich MotionTag, erklärt von Fabienne Sauthier. Das System verspricht nie wieder Ticketautomaten-Verzweiflung im öffentlichen Nahverkehr, denn das Start-up offeriert ein Smartphone-basiertes Ticket-System („TicketEasy“-App) mit virtueller Fahrkarte für die gesamte Reisekette. Ziel eingeben und dann nahtlos mit allen Verkehrsmitteln durch alle Tarifzonen düsen. Große Zustimmung, denn die Bedienung der Berliner Ticketautomaten ist für Touris und Zugreisende oft nur mithilfe einheimischer Profis zu knacken. In der Schweiz und in Skandinavien soll das MotionTag-System schon bestens funktionieren.

Wenig später kommt das Signal fürs geöffnete Snack-Buffet („Berliner Streetfood und Bier“), und schon bilden sich die ersten Diskussionsrunden (Richtig: Networking). Das Porsche Lab kann zufrieden sein. Denn bei solchen Gelegenheiten trifft man schnell auf Start-ups, die zu den eigenen Themen passen und denen man dann für den Anfang den Unterschied zwischen einer coolen Geschäftsidee und einem Geschäftsmodell erklären kann. Anja Hendel freut sich sichtlich über die Resonanz: „Das wird ein spannender Abend.“

Kooperation mit Labs in der ganzen Welt

Direkter Partner des Labs ist übrigens Porsches eigene, ziemlich gewichtige Management- und IT-Beratung MHP und Porsche Digital residiert ein paar Etagen höher im gleichen Haus. Auch Audis Denkwerkstatt und VWs Digital Lab sitzen gleich um die Ecke. „Natürlich tauschen wir uns aus über spannende Themen, die auch die anderen Konzernmarken betreffen“, sagt Hendel. Und selbstverständlich kooperiere man auch mit den anderen beiden Porsche Digital Labs, die im israelischen Tel Aviv und im kalifornischen Santa Clara an ähnlichen Zukunftsthemen forschen. Aber speziell Berlin sei neuerdings ein Eldorado für Start-ups und junge IT-Spezialisten aus der ganzen Welt. „Diese Stadt ist ein Magnet“, philosophiert Hendel, „hier wollen sie alle dabei sein, hier fühlen sie sich schnell wie zu Hause.“

Der nächste Tuesday-Termin? Am 10. April trifft man sich gegen 19 Uhr zum Thema „Fintech“. Es geht um Start-ups, die sich mit digitalen Neuentwicklungen zu Finanztechnologien und -dienstleistungen beschäftigen.

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