Wozu fährt man heute eine Tankstelle an? Um Benzin und Diesel zu zapfen, gelegentlich etwas Motoröl nachzufüllen. Klar. Der eine oder andere nutzt die Gelegenheit auch, um Zeitungen und Zeitschriften zu erwerben oder vor der Weiterfahrt einen Kaffee zu trinken und sich mit einem Snack zu stärken.
In fernerer Zukunft, so um das Jahr 2040, wird an der Tankstelle wesentlich mehr los sein. Elektroautos werden Strom zapfen, Besitzer von E-Rollern oder E-Bikes Akkus wechseln, Car-Sharing-Anbieter ihre Flotten selbstfahrender Autos pflegen. Wer mag, kann seinen mit Wasserstoff oder auch Benzin betriebenen Privatwagen (so er denn noch einen besitzt) hier auch parken um für die Fahrt in die Innnenstadt in einen E-Bus oder vielleicht sogar in einen Volocopter umzusteigen. Sogar ein Bett wird sich an diesem Hotspot der Mobilität finden – nicht, weil hier die Ladevorgänge der Elektroautos extrem lange dauern, sondern weil in Zukunft Trucker nicht mehr in den Kabinen ihrer Lastzüge nächtigen dürfen.

Verkehr wächst weiter

Das, was Aral diese Woche in Berlin präsentierte, ist mehr als eine Zukunftsvision, hat mit Science Fiction weniger zu tun als mit einem Szenario für den Verkehr in Deutschland. Entwickelt wurde es von Forschern der Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter Leitung von Barbara Lenz aufgrund der Auswertung von Studien und mit Hilfe einer Modellrechnung entwickelt haben. Wir ahnten es zwar schon länger, aber nun ist es wissenschaftlich untermauert: Der Verkehr auf unseren Straßen und unsere Mobilität wird sich in den kommenden 20 Jahren dramatisch verändern. Und nicht unbedingt zum Besseren: Denn die Verkehrsforscher der DLR erwarten eine Verdoppelung der Lieferverkehre. Und es werden auf den Straßen auch nicht unbedingt weniger Autos unterwegs sein, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar mehr. Der Fahrzeugbestand, der im vergangenen Jahr bei 45,4 Millionen Einheiten den Höhepunkt überschritten hat, wird in den kommenden Jahren zwar leicht sinken – auch weil die Bevölkerung schrumpft. Aber der Verkehr wird dadurch nicht geringer. Denn die Pkw werden häufiger unterwegs sein, da sie nach Einschätzung der DLR ab dem Jahr 2024 auch in den Städten in wachsendem Maße vollautonom fahren und deshalb von Menschen genutzt werden können, die noch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, selbst ein Auto zu lenken. Hinzu kommt auf dem Land eine wachsende Zahl von privaten Zweitfahrzeugen, weil das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs dort tendenziell eher schlechter wird als besser. Das führt nach der Prognose zu einem Anstieg der Fahrleistungen in den vorstädtischen und ländlichen Regionen um 17 bzw. 14 Prozent – wenn die Politik nicht gegensteuert. „Wegen der Unberechenbarkeit der Politik spielt dies in unseren Prognosen keine Rolle“, räumt Studienleiterin Lenz ein. Würde die Bundesregierung einee CO2-Besteuerung einführen oder Großstädte Dieselfahrverbote erlassen oder eine Citymaut einführen, könnte das Szenario schnell anders aussehen.

Nur drei Prozent elektrisch

Immerhin sinkt in den Städten, Vorstädten und Dörfern ja doch sicher der Lärmpegel, weil sämtliche Autos und ein Großteil der Nutzfahrzeuge im Jahr 2040 doch sicher elektrisch angetrieben sind? Denkste. In dem DLR-Szenario kommen die reinelektrischen Fahrzeuge auch in 21 Jahren nur auf einen Anteil von drei Prozent am gesamten Pkw-Bestand und auf 14 Prozent bei den leichten Nutzfahrzeugen und Lastwagen. Der überwiegende Teil der Fahrzeuge wird weiterhin einen Verbrenner an Bord haben, der entweder mit Benzin oder Diesel betrieben wird. Immerhin wird 75 Prozent des Bestandes in 20 Jahren teilelektrifiziert sein, also über einen Hybridantrieb verfügen.

Pick-up-Station
Die Tankstelle am Rande der Stadt wird nach den Vorstellungen von Aral eine Art Umsteigestation. Vom Auto in den Bus oder das Lufttaxi.
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Das freut eine Mineralölgesellschaft wie Aral natürlich: „Zwei Drittel aller Pkw benötigen im Jahr 2040 noch regelmäßig konventionelle Kraftstoffe“, fasste es in Berlin Aral-Chef Patrick Wendeler zusammen. Das ist die eine Seite. Andererseits aber stellt der wachsende Mix der Antriebsenergien die Mineralölgesellschaft vor große Herausforderungen. Der da die Fahrzeuge immer sparsamer werden und der Anteil der Elektroautos langsam aber stetig steigt, wird der Kraftstoffabsatz weiter sinken. Und man wird sich auf die alternativen Antriebe einstellen müssen, um sich in wenigen Jahren nicht in einer Nische des Energiemarktes wiederzufinden. Aral bietet deshalb heute schon an 290 Stationen Autogas an, an 180 Stationen Erdgas. Auch erste Wasserstoff-Tankstellen betreibt die BP-Tochter bereits. Und nun kommt auch noch Strom hin: In Kürze eröffnet Aral am Firmensitz in Bochum eine erste Superschnell-Ladestation, an der Elektroautos bis zu 350 Kilowatt Strom in der Stunde zapfen können – ein Stopp von fünf Minuten reicht dann, um Antriebskraft für eine Strecke von 145 Kilometern aufzunehmen. In Berlin läuft zudem ein Versuch mit einer Akku-Wechselstation für Elektro-Scooter.

Und so wie das Licht die Motten anzieht, sollen nach Wendelers Vision in Zukunft die Tankstellen die Menschen anziehen. Nicht nur die Autofahrer, auch die Zweiradfahrer, auch Fernbus-Reisende. Denn die Tankstelle der Zukunft soll am Stadtrand zu einer Station werden, in der Menschen und Güter umgeschlagen werden, wo der Pendler vom Auto in den Premium-ÖPNV, in einen elektrobetriebenen Leihwagen oder ins Lufttaxi wechselt. In ländlichen Regionen soll die Tankstelle zu einer Versorgungsstation und einem sozialen Treffpunkt werden, wo man sich in einem Laden mit Lebensmitteln für den täglichen Bedarf versorgt und wo man Pakete zum Versand aufgibt. In der Großstadt wiederum werden riesige Tank-Paläste entstehen, mit Konferenzräumen, Pflegestation für Sharing-Fahrzeuge, vielleicht auch mit Schlafplätzen, ganz sicher aber mit Restaurants und Einkaufscentren – die Wurstbraterien und Rewe To Go-Läden, die es heute schon an vielen Aral-Tankstellen gibt, sind erst der Anfang.

Politik ausgeklammert

Was zwangsläufig die Frage aufwirft, wer diese Mammut-Stationen in Zukunft betreiben wird – und wie viele Tankstellen es in Zukunft überhaupt noch gibt. Aktuell betreibt Aral deutschlandweit rund 2400 Stationen in Deutschland. Und auch wenn Wendeler versichert, dass seine Gesellschaft „keine Interessen hat, das Netz zu verkleinern“, ist doch klar, dass kaum einer Konzessionäre die Finanzkraft hat, die Millioneninvestitionen in die Großstationen neuen Typs zu finanzieren. Zumal, wir erinnern uns, die Politik bei der Erstellung der DLR-Studie ausgeklammert wurde. Sollte die nächste Bundesregierung entscheiden, zum Schutz des Klimas dem Beispiel anderer Länder zu folgen und beispielweise die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030 zu verbieten, sähe das Szenario sicher anders aus. Auch der Aral-Chef macht sich keine Illusionen: „Wie die Welt 2040 aussehen wird, weiß derzeit niemand zu sagen.“

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