Carlos Ghosn hat offenbar ein gutes Gespür für das perfekte Timing: Während Tesla noch mit dem Produktionsanlauf des viel erwarteten Model 3 kämpft und Peugeot mit General Motors über Lieferkonditionen und Liefermengen für den Opel Ampera-e ringt, zündet der Chef der Allianz aus Renault und Nissan die nächste Stufe seiner E-Offensive. Vergangenes Frühjahr erhielt der Renault Zoe eine kräftigere Batterie, nun kriegt der Kleinwagen auch noch einen stärkeren Motor.

Vor allem aber lässt Ghosn die zweite Generation des Nissan Leaf vom Stapel, über dessen Antrieb man eigentlich nicht mehr nachdenken muss. Denn mit einem Preis von 31.950 Euro und einer verbrieften Reichweite von 378 Kilometern spielt der bei uns ab Februar lieferbare Stromer immer mehr in einer Liga mit ganz normalen Familienkutschen vom Format eines VW Golf oder zumindest eines Dreier-BMW. Und ein ansehnliches Design bekommt das mit 300.000 Exemplaren meistverkaufte Elektroauto der Welt jetzt sogar auch noch.

So augenfällig das neue Styling sein mag, mit dem entschlossenen Blick, ein paar charaktervollen Kanten anstelle der Silhouette im Stil eines abgegriffenen Stücks Seife und dem sichtlich aufgewerteten Innenraum und seinem spacigen Cockpit – die größte Innovation des neuen Leaf steckt doch unsichtbar im Wagenboden: die Batterie. Denn ohne das Format zu ändern, haben die Japaner deren Kapazität um etwa 30 Prozent auf 40 Kilowattstunden erhöht und damit die Reichweite des Leaf auf diese Weise so weit angehoben, dass man sich den ständigen Blick auf den Bordcomputer in Zukunft wohl sparen kann. Denn die Reichweitenanzeige ist von der ruhigen Sorte: Man fährt und fährt und nur langsam wird die Zahl kleiner, die von den Restkilometern kündet.

Wenn der Akku tatsächlich mal leer ist, lässt sich der Leaf jetzt schneller wieder aufladen: Der bislang aufpreisflichtige Typ2-Stecker ist nun serienmäßig an Bord. Die Zeit für den Boxenstopp an der Haushaltssteckdose soll so von 21 auf 7 Stunden sinken.

Mehr Eindruck auf der Straße

Aber der Leaf fährt nicht nur weiter, sondern nach den ersten Eindrücken auf der Straße auch besser. Mit der um fast 40 Prozent auf 110 Kilowatt erhöhten Motorleistung und dem um ein Viertel auf 320 Newtonmeter angehobenen Drehmoment ist der Antritt beim Ampelstart umso beeindruckender. Die schmalen Räder im 17-Zoll-Format haben bisweilen ihre liebe Mühe, die Antriebskraft auf die Straße zu bringen. Und dass es bei Elektroautos jenseits des Ortschilds irgendwann einmal zäh wird und dass mit Rücksicht auf die Reichweite bei 144 km/h Schluss ist, daran hat man sich langsam gewöhnt.

Und um das elektrische Erlebnis zu unterstreichen, hat Nissan das so genannte e-Pedal eingebaut, mit dem man den Grad der Rekuperation steuert. Auf Knopfdruck aktiviert, wird der E-Motor zum Generator, sobald man den Fuß vom Gas nimmt. Dann verzögert er das Auto so stark, dass man die normale Bremse kaum mehr braucht. An dieses One-Pedal-feeling hat man sich schnell gewöhnt. Umso überraschter ist man, wenn das e-Pedal nach dem nächsten Anlassen deaktiviert bleibt und man plötzlich überraschend kräftig in die Eisen steigen muss, um den Leaf wieder einzubremsen.

Wenn Nissan den Leaf selbst zum Alltagsauto stempelt, muss man ihn allerdings auch nach alltäglichen Maßstäben messen und stößt dabei in einigen Punkten an die Grenzen des Konzepts: Die Sitzposition zum Beispiel ist erstens zu hoch und zweitens weiß man nicht, wohin mit seinen Füßen, weil im Wagenboden die Akkus stecken und im Fußraum deshalb weniger Platz ist als üblich. Die Materialauswahl zeugt vom Bemühen, das viele Geld für den teuren Akku an anderer Stelle wieder einzusparen. Und der Kofferraum geht zwar mit 435 Litern für die Kompaktklasse in Ordnung, hat aber eine viel zu hohe Ladekante.

Autonomes Fahren kommt näher

Zwar wäre ein Elektroantrieb mit vernünftigen Fahrleistungen und sorgloser Reichweite schon Alleinstellungsmerkmal genug. Doch Nissan dreht das Rad beim neuen Leaf noch ein bisschen weiter in Richtung Zukunft und macht den kompakten Stromer auch noch zu seinem Aushängeschild für das autonome Fahren. Dank „ProPilot“ surrt er mit Hilfe von Kameras und Radarsensoren deshalb zumindest ein paar Sekunden freihändig über die Autobahn und mit Hilfe von „ParkPilot“ rangiert er völlig alleine in eine Parklücke, während der Fahrer nur noch den Kontrollknopf drückt, sich zurücklehnt und allenfalls noch staunen muss.

Das ist zwar alles nicht neu und in der Oberklasse gang und gäbe. Doch weder gibt es bislang einen Kompakten mit so viel Autonomie, noch ein entsprechend hoch gerüstetes Elektroauto. Zumindest nicht diesseits von Tesla.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert