Für die Hamburger ist es bereits Alltag, in 36 anderen Städten in Deutschland droht es ab Januar kommenden Jahres aus Gründen des Gesundheitsschutzes: Ein Fahrverbot für alte Dieselauto und -transporter. Auf einzelnen Straßen wie in Hamburg oder wie in Stuttgart für die gesamte Innenstadt, weil dort seit Jahren regelmäßig der Grenzwert für Stickoxid in der Luft gerissen wird.

Betroffene Pkw-Besitzer fluchen, Gewerbetreibende fürchten zusätzlich um ihre Existenz. Denn ob Bäcker oder Klempner, Dachdecker oder Elektriker – Dieselfahrzeuge sind für Handwerker unverzichtbares Werkzeug zum Transport von Waren und Ausrüstungen. Und auch Logistikunternehmen wie Hermes, UPS oder DPD fragen sich, wie künftig noch Pakete und Briefe in die Stadt gelangen sollen, wenn dieselgetriebene Transporter ausgesperrt werden. Nur DHL dürfte weniger Sorgen haben.

Alternativen zum Dieseltransporter waren bislang Mangelware – und obendrein für viele Handwerker unerschwinglich. Der umweltbewegte Bäckermeister Roland Schüren aus Hilden bei Düsseldorf gründete deshalb vor bald zwei Jahren eine Selbsthilfegruppe. Das Ziel: Definition und Ausschreibung eines emissionsfreien und klimafreundlichen, leistungsfähigen wie bezahlbaren 3,5-Tonners der sogenannten Sprinterklasse. Das Lastenheft wurde im Januar 2017 zusammen mit der Bitte um ein Lieferangebot an 51 europäische Fahrzeughersteller geschickt. Lediglich ein Hersteller antwortete: Streetscooter aus Aachen, Tochterunternehmen der Deutschen Post und Hersteller des vollelektrischen Kleintransporters Work. Volkswagen winkte damals ebenso ab wie Mercedes, Ford oder Renault.

Das erste Exemplar des „Bakery Vehicle 1“ von Streetscooter hat in diesem Sommer seine Arbeit in der Bäckerei Schüren in Hilden aufgenommen. Und die großen Autohersteller zeigen erst jetzt, auf der Nutzfahrzeug-IAA des Jahres 2018, ihre Ideen und Angebote für emissionsfreie Gütertransporte in der Stadt.

Nun kommen die ersten E-Transporter

Da wäre etwa der Ford Transit Custom PHEV, ein Kastenwagen mit einem wiederaufladbaren Hybridantrieb und einer Zuladung von rund einer Tonne. Bis zu 50 Kilometer weit kann ein Bäcker und Paketzusteller damit elektrisch rollen. Dann muss der 14,4 Kilowattstunden große Lithium-Ionen-Akku an einer Steckdose neue Energie schöpfen – je nach Stärke des Ladestroms in drei bis fünf Stunden. Oder es muss der kleine Benziner ran, der als Hilfsmotor für die Stromerzeugung mit an Bord ist. Klingt interessant und praktisch, hilft dem Handwerker aber erst einmal nicht: Erst im kommenden Sommer beginnt der Verkauf. Zum Preis können die Ford-Strategen deshalb auch noch keine Aussagen machen.

Auch Mercedes will erst im kommenden Jahr mit der Auslieferung des e-Sprinters beginnen. Bei Fragen nach dem Verkaufspreis geben sich die Stuttgarter deshalb noch zugeknöpft. Ziel sei es, Gewerbekunden eine über die gesamte Einsatzdauer des Fahrzeugs vergleichbare Kostensituation zu bieten, heißt es in Stuttgart. Im Klartext: Der e-Sprinter wird zwar deutlich teurer werden als ein Sprinter mit klassischem Dieselmotor. Aber da Strom preisgünstiger ist als Benzin, die Wartungskosten deutlich niedriger sind und die Kfz-Steuer zumindest für eine Weile entfällt, ist der Stromer unter dem Strich genauer teuer wie der Stinker. TCO – Total cost of ownership – lautet das Zauberwort, das bei den Gewerbekunden wirken soll.

Womit wir bei Volkswagen und dem neuen e-Crafter wären. Eigentlich müsste er Sprinter heißen, denn die Hannoveraner sind in diesem Trio die schnellsten: Der e-Crafter kann ab sofort geordert werden, die ersten Auslieferungen sollen bereits nach der IAA erfolgen.

So sehen die drei Transporter aus:

Der Preis? Bitte sehr: 69.500 Euro. Der eine oder andere Bäcker oder Dachdecker wird da erst einmal schlucken. Denn das gleiche Modell mit Dieselmotor gibt es bereits für rund 45.000 Euro. Aber – Stichwort TCO – mit den Jahren verflüchtigt sich die Preisdifferenz, amortisiert sich der Mehrpreis, ist VW-Technikvorstand Axel Anders überzeugt, unter dessen Leitung der erste in Großserie produzierte E-Transporter in zweijähriger Arbeit entstand: „In Städten mit Dieselfahrverboten rechnet es sich sogar sofort.“ Und die Androhung von Einfahrverboten sei derzeit der größte „Motivator für unsere Kunden“, neue Fahrzeuge anzuschaffen. Diese Werbung wirkt allerdings zynisch bei einem Spitzenmanager des Konzerns, der den Dieselskandal auslöste und die Diskussion um Dieselfahrverbote in Großstädten erst befeuerte.

Wie der für den Antrieb verantwortliche Christoph Belger andeutet, war bis zur Serienproduktion auch so schon ein heißer Ritt. Kunden wurden nach ihren Bedürfnissen befragt, ein Lastenheft ausgearbeitet, Prototypen gebaut und anschließend bei 20 Kunden in vier Ländern einem Alltagstest unterzogen, erst dann die komplizierte Produktion organisiert: Das Chassis des Transporters wird in Polen gebaut und dann im VW-Werk Hannover mit Motor, Getriebe und Batterie versehen. Um Kosten zu sparen, nutzt der e-Crafter den Antriebsstrang aus dem e-Golf: Die Synchronmaschine liefert bis zu 100 Kilowatt (136 PS) Leistung mit einem maximalen Drehmoment von 290 Newtonmeter. Bei 95 km/h wird der Motor im e-Crafter allerdings abgeregelt – beim e-Golf erst bei 150 km/h.

24 Kilowattstunden Verbrauch

Und wie weit kommt man so damit? Der 300 Kilo schwere Akku hat eine Speicherkapazität von knapp 36 Kilowattstunden. Das reicht bei dem etwa 1,4 Tonnen schweren e-Golf für Fahrstrecken von bis zu 270 Kilometern. Der eCrafter ist an sich schon deutlich schwerer, hinzukommt eine Nutzlast von bis zu 1,72 Tonnen. Das treibt natürlich den Energieverbrauch und reduziert die Reichweite auf etwa 100 bis 140 Kilometer – je nach Topografie und Fahrweise.

Bei einem ersten Test rund um Hamburg kamen wir – bei sommerlichen Außentemperaturen und hoher Verkehrsdichte – auf einen durchschnittlichen Energieverbrauch von etwa 24 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Theoretisch wären also sogar 150 Kilometer drin gewesen. „Damit sind die meisten Einsatzprofile vorerst sehr gut abgedeckt“, findet Chefentwickler Anders. Wer auf Fernfahrt gehen möchte: Der e-Crafter verfügt über einen CCS-Ladestecker, über den der Akku per Gleichstrom und mit einer maximalen Ladeleistung von 40 Kilowatt spätestens nach einer Dreiviertelstunde wieder zu 80 Prozent geladen ist.

Doch der Transporter ist in erster Linie für den Einsatz im Stadtverkehr entwickelt, vor allem für den Einsatz im Verteil- und Zustellverkehr in der Citylogistik, für Unternehmen wie Deutsche Post DHL, UPS und Hermes. Dass sich in der Branche der Neuling Streetscooter etabliert hat, ärgert die Verantwortlichen nicht nur bei Volkswagen Nutzfahrzeuge. „Streetscooter hat die Branche aufgerüttelt“, gibt Technikvorstand Anders offen zu – aber jetzt, lässt er anklingen seien wieder die etablierten Hersteller am Zug: „Wir arbeiten doch auf einem Qualitätsniveau.“

Mit Blick auf die Anwender aus der Logistik gibt es den e-Crafter vorerst auch nur mit mittlerem Radstand und mit Hochdach, aber immerhin in zwei Tonnageklassen. Weitere Varianten sind vorerst nicht geplant. Aber Anders weiß auch: „Mit e-Crafter allein werden wir unsere Kunden nicht zufrieden stellen.“ Angeblich arbeitet Volkswagen Nutzfahrzeuge bereits an einem „Bully“ mit Elektroantrieb: Die Energiewende im gewerblichen Straßenverkehr hat gerade erst begonnen.

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