Anfahren, bremsen. Wieder beschleunigen. Am steilen Hang. Auf flachem Sand. Viel Tempo. Dann wieder schleichen. Stundenlang hat Stefan Schlie gemeinsam mit den Bosch-Ingenieuren an der Feinabstimmung der neuen Motoren-Generation für Elektro-Mountainbikes mitten in der Natur getüftelt. Jetzt führt der ehemalige Vizeweltmeister im Radtrail geduldig das Ergebnis der Mühe in einem Wald auf der Schillerhöhe nahe Stuttgart vor. Und hüpft dabei auf seinem E-MTB durchs Gelände fast wie einst im Wettkampf.

Schlie (46) zeigt, wie der Motor aus der Performance Line CX von Bosch E-Bike Systems auch in der höchsten Leistungsstufe nicht gleich losbrettert, sondern auf einen vorsichtigen Pedaltritt ganz behutsam anspricht. Was ein Rad an rutschiger Steigung besser beherrschbar macht. Oder wie im Schiebemodus die Pedale an einem Ast hängenbleiben kann, ohne dass der Antrieb es als Befehl zum Gasgeben fehlinterpretiert und losdüst. Und wie der Motor jenseits von Tempo 25 fast unmerklich und komfortabel die Unterstützung abregelt, spürt auch der ungeübte E-Radler. Leiser dürfte der Motor vielleicht noch sein.

Viel Feinschliff im Detail haben die Bosch-Entwickler – im zehnten Jahr des Bestehens der E-Bike-Sparte – bei dem Antrieb geleistet. Vor allem aber, betont Claus Fleischer, sei der neue Motor dank viel Magnesium im Gehäuse um ein Viertel leichter als sein Vorgänger und um die Hälfte kleiner. „Das ermöglicht es den Fahrradherstellern, das Antriebssystem noch besser zu integrieren“, preist der Chef des Geschäftsbereichs das neue Spitzenmodell unter den Bosch-Antrieben, als er vor kurzem die Produktneuheiten für das Jahr 2020 vorstellte. Die Fahrraddesigner haben beispielsweise so mehr Freiheiten, die Strebe zwischen Tretlager und Hinterachse kürzer auszulegen und damit das E-MTB wendiger zu machen. Oder länger, damit es stabiler läuft. Beim Gewicht hat Bosch nun mit einem Wert von 2,9 Kilogramm mit der Konkurrenz etwa von Brose gleichgezogen. Dessen Spitzenmodell Drive S-Mag bietet mit 90 Newtonmeter aber noch etwas mehr Drehmoment als der CX mit 75 Newtonmeter.

Neue Antriebe speziell für schwere Lastenräder

Fleischer präsentierte aber nicht nur reichlich Hardware, sondern auch viel Software. Denn das Fahrrad, zumal das E-Bike, wird immer digitaler. Sei es durch elektronischen Diebstahlschutz und Federung, sei es durch Vernetzung mit Gleichgesinnten oder für das Update der Radsteuerung aus der Ferne. Der Bosch-Topmanager Fleischer spricht im feinsten Denglisch vom Connected Biking und sieht sich als Nutznießer von Megatrends wie Urbanisierung, Digitalisierung, Mobilität und Klimaschutz, die alle für das Radeln sprechen – gerne auch mit elektrischer Unterstützung.

Die Verkaufszahlen bestätigen das. Fast eine Million E-Bikes verkaufte die Branche vergangenes Jahr, selbst Lebensmitteldiscounter Aldi hat sie im Programm. Verlässliches Zeichen, dass ein Produkt im Massenmarkt angekommen ist. Auch in den europäischen Nachbarländer feiert das elektrifizierte Fahrrad Erfolge: In Frankreich griffen Kunden 300.000mal zum Elektrorad, in den Niederlanden liegt der Marktanteil bei 40 Prozent. In Skandinavien, Italien oder Großbritannien wächst die Nachfrage.

Um die weiter anzuheizen, differenziert Bosch seine Motorenpalette immer weiter. So offerieren die Stuttgarter mit der Cargo Line einen speziellen Antrieb für Lastenrädern, dem wahren „SUV für die Stadt“ unter den Zweirädern, wie sie Fleischer nennt. Der E-Motor schleppt bis zu 250 Kilogramm schwere Cargobikes, muss aber im unbeladenen Zustand genauso komfortabel zu fahren sein. Sensoren überwachen den Fahrzustand und sollen helfen, Drehmoment, Tempo und Beschleunigung so zu steuern, dass das Lastenrad auch in Kurven oder auf schlechten Wegen gut herrschbar bleibt.

Als Cargo Line Speed unterstützt der Motor auch bis zu eiern Geschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde. Kombiniert mit zwei der neuen, größeren Akkupacks Power Tube 625 hat ein derart ausgestattetes Rad 1250 Wattstunden Energie an Bord, was für eine ordentliche Reichweite sorgen sollte. Wichtig für Kurierdienste und andere kommerzielle Nutzer von Lastenrädern.

Updates over the Air

Damit der Radler auch gut ans Ziel findet, nutzen viele Pedalisten heute ihr Mobiltelefon. Damit es auf dem Lenker einen sicheren Platz findet, hat Bosch einen neuen Smartphone-Hub konzipiert. Kombiniert mit der Cobi.Bike-App kann der E-Biker Fahrmodi wählen, den Ladezustand des Akkus ablesen genauso wie navigieren, Musiktitel auswählen oder seine Fitness tracken. Am Lenkergriff gibt es dazu eine kleine Bedieneinheit, mit deren Tasten der Fahrer die App steuert. Unter der Smartphone-Halterung befindet sich noch ein kleines Display, damit sich der Antrieb auch ohne Handy bedienen lässt.

Beliebte Dienste wie Strava und Komoot lassen sich ebenfalls nutzen. Mit ihnen planen und verabreden viele Radler ihre Touren. Das System erlaubt auch Software-Updates über die Mobilfunkverbindung. An einem USB-Anschluss lässt sich das Handy laden, über ihn kann der Händler auch sein Diagnose-Gerät anschließen, um den Zustand des Rades zu kontrollieren.

Wer lieber eine eigene, kompaktere Bedieneinheit nutzen – und sein teures Smartphone nicht den Unbilden des Wetters aussetzen – möchte, kann Kiox nutzen. Sie zeichnet auch Touren- und Fitnessdaten auf und schickt diese per Bluetooth zu einer App auf dem Smartphone, das geschützt in der Tasche bleiben kann.

Für Kiox bittet Bosch auch einen neuen Diebstahlschutz namens Lock an, der einmal aktiviert, relativ simpel funktioniert: Nimmt der Radler die Bedieneinheit ab, arbeitet der Motor nicht mehr und lässt sich ohne die Bedieneinheit nur durch den Händler wieder aktivieren. Das macht das E-Bike für Diebe deutlich weniger attraktiv. Ein richtiges Schloss ersetzt Lock aber nicht, wie Bosch selbst betont.

Interessant ist das Geschäftsmodell für den Dienst: Er kostet 9,99 Euro, der Kunde ordert ihn über die zu Kiox gehörende Smartphone-App. Damit will Bereichschef Fleischer sicherlich auch herausfinden, ob es eine Zahlungsbereitschaft für derartige digitale Dienste gibt.

Die Hersteller zögern noch

Ein ähnlicher Testballon ist wohl auch die E-Suspension, die Bosch gemeinsam mit dem US-Spezialisten Fox für E-MTBs anbietet. Der Radler wählt je nach Gelände über Kiox ein Profil für die Federung an Vorder- und Hinterrad. Sensoren messen dann 1000mal pro Sekunde den Wegzustand und steuern entsprechend die Dämpfer.

Ob Radhersteller, Händler und Kunden derartige – oft erklärungsbedürftige – elektronische Systeme bereitwillig akzeptieren und ordern, wird sich zeigen. Zumindest beim Antiblockiersystem für die Vorderradbremse, das Bosch bereits vergangenes Jahr eingeführt hat, zeigte sich Fleischer von der Resonanz enttäuscht – obwohl das ABS helfen würde, Unfälle zu vermeiden. Derzeit zögerten noch viele Hersteller, das System anzubieten, monierte der studierte Maschinenbauer. Es gebe nur wenige Modelle im Markt.

Dennoch will er mit seinem Team weitere digitale Lösungen für mehr Komfort und Sicherheit entwickeln, versichert der Bosch-Manager.

Ob Profiradler Stefan Schlie glaubt, dass sich auch die Feinabstimmung der Motorensteuerung eines Tages per Simulation im Computer erledigen lässt ,wie in der Autoindustrie immer häufiger üblich? Da ist er skeptisch und verlässt sich eher auf sein Popo-Gefühl. Ein Grund: „Dafür sind die Verhältnisse im Gelände einfach zu unberechenbar“.

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