Besonders visionär sieht das Wohnhaus in der Berliner Havensteinstraße von außen nicht aus: ein großer Kasten mit acht Stockwerken und blauen Balkons an der weißen Fassade. Doch diese vermeintlich langweiligen Fassaden täuschen. Hinter ihnen verbirgt sich ein innovatives Energiekonzept, dank dem sich das Haus fast komplett selbst versorgt – ohne klimaschädliche Emissionen.

Das „Zukunftshaus“ ist ein Projekt des Berliner Wohnungsbauunternehmens Degewo. Bei einer Strategietagung der Firma im Jahr 2012 entschied sich Degewo für das Projekt. Ansporn war dabei das Energiekonzept 2050 der Bundesregierung. Darin nennt die Regierung Ziele für eine nachhaltigere Energieversorgung in den nächsten 30 Jahren.

Das Ergebnis steht nun im Berliner Stadtteil Lankwitz. Das Energiekonzept des Zukunftshauses hat Friedrich Sick von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin entwickelt. Mehrere unterschiedliche Vorschläge hat er mit der Degewo durchgesprochen. Und musste teilweise den Enthusiasmus des Wohnungsbauers bremsen. „Die Degewo wollte etwas komplett innovatives haben“, sagt Friedrich Sick. „Dabei ist das gar nicht unbedingt nötig. Wir brauchen nur eine innovative Kombination von bereits marktreifen Techniken.“

Das fängt bei der Stromerzeugung an: Auf dem Dach des Zukunftshauses sind 216 Photovoltaik-Module befestigt. Dazu kommen noch 121 Solarthemie-Hybridmodule, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Der erzeugte Strom kann in einer flüssigen Redox-Flow-Batterie neben dem Haus gespeichert werden, wenn er gerade nicht gebraucht wird und steht zum Abruf bereit, wenn mal nicht die Sonne scheint.

Wärme im Tank

Und auch die Wärme kann für später gespeichert werden. In einem unterirdischen Erdtank kann die Energie monatelang aufbewahrt werden. Der Tank hat eine Kapazität von rund 62 MWh. Mit einer Wärmepumpe fließt die Energie vom Tank aus wieder zurück ins Haus in die Deckenflächenheizungen der Wohnungen. Wird es im Sommer zu warm funktioniert das System auch umgekehrt und kühlt die Räume.

Zentrale Lüftungsgeräte mit Wärmerückgewinnung sollen für angenehme Luft sorgen: Sie saugen frische Luft von draußen an, filtern sie und übertragen die Wärme der Ablauft auf die frische Luft. Dadurch soll der übliche Wärmeverlust beim Lüften von Räumen vermieden werden.

Aber auch üblichere Sanierungsmaßnahmen kamen zum Einsatz: Die Dämmung wurde von acht auf 20 Zentimeter verdickt und durch die neuen dreifach verglasten Fenster soll weniger Wärme entfliehen. Außerdem wurden die alten Balkone abgesägt. Die neuen Balkone sitzen jetzt vor der Fassade und sind dadurch thermisch von Haus abgetrennt.

Strom muss noch aus dem Netz kommen

Insgesamt produziert das Haus dank der Sanierungsmaßnahmen nun 100 Prozent der Wärmeenergie und knapp die Hälfte des im Haus verbrauchten Stroms selbst. Für die Mieter sollen die Betriebskosten um bis zu zwei Drittel sinken. Der Wärmebedarf der Wohnung ist sogar 85 Prozent niedriger. Da die Energie im Zukunftshaus klimaneutral erzeugt wird, sollen sich auch die CO2-Emissionen jeder Wohnung halbieren. Ein komplettes Plusenergiehaus inklusive des Stromverbrauchs aller Mieter sei noch nicht umsetzbar gewesen, sagt Friedrich Sick. „Das ist einfach nicht möglich. So viele Solarmodule passen gar nicht auf das Dach.“

Dennoch sei das Haus ein Erfolg, denn in erster Linie dient es als Lernprojekt für die Degewo. Das muss nicht immer gleich alles auch auf andere Gebäude übertragbar sein. Gerade die Sanierung eines bestehenden Gebäudes ist schwieriger, als ein Energiekonzept für einen Neubau zu entwickeln, und jedes Haus hat ganz eigene Erfordernisse und Herausforderungen. Baustoffe und Grundrisse sind beispielsweise festgelegt, es muss Platz für Speichertanks und Solarmodule sein. Außerdem müssen die aktuellen Mieter für die Sanierung ausziehen.

Diese Schwierigkeiten sorgen dafür, dass das Zukunftshaus nicht unbedingt als Blaupause für jede beliebige Gebäudesanierung dienen kann. Aber das sei auch nicht das Ziel gewesen. „Wir wollten bei diesem Projekt ein bisschen mehr machen, als dann vielleicht standardmäßig auf andere Gebäude übertragbar ist“, so Sick. „Es ging vor allem darum zu lernen, wie Planung, Bau und Betrieb eines solchen Hauses funktionieren können.“

Und das darf dann auch mal ein bisschen mehr kosten: 5,6 Millionen Euro hat sich die Degewo das Projekt kosten lassen. Fünf Jahre hat es von der ersten Idee bis einzugsfertigen Zukunftshaus gedauert, die tatsächlichen Sanierungsarbeiten nahmen davon 16 Monate in Anspruch. Mittlerweile sind alle 64 Wohnungen im Haus belegt.

Für Friedrich Sick heißt das, das nun die nächste spannende Phase beginnt: Die nächsten vier Jahre beobachtet er, wie nachhaltig das Zukunftshaus wirklich ist. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert das Monitoring, so dass neben Sick auch noch zwei wissenschaftliche Mitarbeiter der HTW die Daten des Zukunftshauses auswerten können. Spätestens in zwei Jahren wollen sie stichhaltige Ergebnisse haben.

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