Es war angeblich nicht angestimmt, passte aber vom Timing her perfekt: Am Donnerstag forderte VW-Vorstand Thomas Ulbrich bei einem Workshop im Berliner Volkswagen-Forum von der Bundesregierung einen „Masterplan Elektromobilität“. Und sein Kollege Stefan Schmerbeck forderte, das Laden von Elektroautos im Wohneigentum zum Grundrecht zu machen. Tags darauf traten in der Hauptstadt die Ministerpräsidenten des Auto-Länden Niedersachen, Bayern und Baden-Württemberg mit einem einem gemeinsamen Positionspapier vor die Presse, in dem sie nicht nur einen gemeinsamen Pakt zur Zukunft der Autoindustrie verkündeten, sondern die Bundesregierung eindringlich aufforderten, die Verkehrswende auf der Straße zu beschleunigen und die Rahmenbedingungen für die Elektromobilität weitern zu verbessern – unter anderem durch eine Reform des Mietrechts und Wohnungseigentumsgesetzes, das derzeit noch die Installation von Ladestationen etwa in den Tiefgaragen von Wohnsiedlungen massiv behindert. Außerdem müsse der Bund seine Programme zur Förderung der klimaschonenden Mobilität erweitern, etwa durch die Erhöhung der Mittel für den Aufbau der Ladeinfrastruktur und die Förderung privater Ladesäulen. „Zu viel Zeit wurde auf Bundesebene schon verspielt und zu viele Ziele verfehlt“, kritisieren Winfried Kretschmann (Grüne), Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) in ihrem siebenseitigen Positionspapier. Wir erinnern uns: Ursprünglich sollten im Jahr 2020 eine Million Elektroautos über unsere Straßen rollen und Deutschland ein Leitmarkt für Elektromobilität sein. Inzwischen wurde das Ziel auf das Jahr 2022 verschoben. Und auch von den Klimazielen hat sich die Große Koalition längst verabschiedet: Bis zum kommenden Jahr sollten die Treibhausgas-Emissionen eigentlich um 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 abgesenkt werden. Pustekuchen. Statt zu einer konkreten Jahreszahl soll dieses Klimaziel nun „so schnell wie möglich“ erreicht werden.

Elektromobilität ist alternativlos

Aber auch die deutsche Autoindustrie hat zu lange auf Zeit gespielt. Autos mit Elektroantrieb wurden hierzulande lange als Spielerei verspottet – bis der Dieselskandal kam und die Hoffnung platzte, die strengen CO2-Flottengrenzwerte der EU für 2020 und darüber hinaus allein durch eine konsequente Verdieselung der Fahrzeugflotten erreichen zu können. Inzwischen sind Audi und BMW, Daimler und Volkswagen, auch Ford und Opel aus diesem Traum aufgewacht und investieren Milliardensummen in die Aufholjagd, in die Entwicklung alltagstauglicher, hochattraktiver wie umweltfreundlicher Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Auf der IAA im September werden wir die ersten Ergebnisse dieses ingenieurs- wie finanztechnischen Kraftakts sehen: Elektroautos und Plug-in-Hybride in allen Größen und Formen, Leistungs- und Preisklassen. Einen ID.3, einen e-Corsa, einen Mercedes EQC, einen Porsche Taycan, Audi e-tron GT und einen e-Mini, aber auch einen e.Go Life und einen Sion. Das Angebot wächst in den kommenden Monaten rasant. Aber an vielen Stammtischen, in den Medien und selbst in der Nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität (NPM) wird immer noch hochemotional wie kontrovers die Frage diskutiert, ob Elektromobile wirklich ein Beitrag zum Schutz des Weltklimas sind oder nicht vielmehr ein weiterer schwerer Umweltfrevel.

Verkehrswende statt Volkswagen

Volkswagen, Auslöser des Dieselskandals und damit unfreiwillig Treiber der Energiewende auf der Straße, immerhin hat sich als erster deutscher Autohersteller festgelegt: Die Zukunft fährt hier elektrisch. Bis zum Jahr 2028 will der Konzern 70 Modelle mit Elektro- oder Hybridantrieb auf den Markt bringen, 22 Millionen Teil- und Vollzeitstromer in Summe. Volkswagen treibt die Verkehrswende inzwischen so heftig und auch glaubwürdig voran, dass Christian Hochfeld von Agora Verkehrswende bei der Veranstaltung am Donnerstag spaßeshalber eine Umbenennung von VW vorschlug: Von „Volkswagen“ zu „Verkehrswende“.

Aber die schönsten Autos nützen nichts, wenn die Akzeptanz der neuen Antriebstechniken in der Bevölkerung nicht deutlich wächst – und sich die Nutzer der Fahrzeuge später an den Ladesäulen in der Stadt und auf dem Land um einen Platz für ihren Stecker balgen. „Charging for all“, auf deutsch: Ladeplätze für alle sind laut VW-Vorstand Ulbrich der Schlüssel zum Erfolg. „Wir brauchen dafür mehr Oslo, weniger deutsche Bürokratie.“ In Norwegen, so seine Erfahrung, werde einfach gemacht – in Deutschland erst einmal endlos debattiert.

Treiber der Verkehrswende
Thomas Ulbrich ist im Markenvorstand von VW für den Geschäftsbereich Elektromobilität verantwortlich.

Zügig voran geht derzeit nur der Aufbau der High-Power Supercharger entlang der Autobahnen durch Ionity: Das Joint Venture von BMW, Daimler, Ford und Volkswagen mit den Marken Audi und Porsche hat europaweit mittlerweile 106 Stationen in Betrieb, 37 davon entlang der Bundesautobahnen. Ionity-Chef Michael Hajesch ist deshalb guten Mutes, bis Ende kommenden Jahres wie geplant 400 Stationen zwischen dem Nordkap und Gibraltar in Betrieb zu haben – und sich dann neuen Zielen widmen zu können.

Beispielsweise dem Aufbau eines Netzes von Schnellladern in den Städten. Denn hier herrscht aktuell der größte Mangel an öffentlichen Lademöglichkeiten. Volkswagen hat kürzlich die Situation in den zehn größten Städten Deutschlands analysiert. Das Ergebnis fiel ernüchtern aus. Zwar ist in den letzten sechs Monaten die Zahl der Ladesäulen deutlich gestiegen. Trotzdem ist beispielsweise in Frankfurt der Bedarf (der nach VW-Berechnungen bei einer Ladesäule pro 1000 Einwohner liegen sollte) nur zu 14 Prozent gedeckt, in Stuttgart nur zu 23 Prozent. Deutlich besser sieht es in München und Berlin aus (jeweils 39-prozentige Abdeckung), aber auch wie in Hamburg (62 Prozent) gebe es auch hier noch jede Menge Nachholbedarf. Kein Wunder: In den meisten Städten gibt es für den Aufbau der Ladeinfrastruktur bis heute keinen Generalplan, wurschteln die lokalen Energieversorger isoliert vor sich hin.

36.000 neue Ladepunkte

Volkswagen wird sich deshalb nun stärker auch in den Aufbau der Ladeinfrastruktur einbringen – wer A wie Auto sagt, muss auch L sagen, wenn er die E-Offensive nicht in den Sand setzen will. Der Konzern will nun bis 2025 noch einmal 250 Millionen Euro locker machen und über die Tochtergesellschaft Elli („Electric Life“) europaweit insgesamt 36.000 Ladestationen aufbauen, allein 11.000 durch die Marke Volkswagen. So soll jeder VW-Händler verpflichtet werden, Lademöglichkeiten auch für konzernfremde Fahrzeuge einzurichten. Aber auch an den eigenen Standorten in Deutschland sollen zügig neue Ladepunkte entstehen – damit die Mitarbeiter, die auf einen ID.3 umsteigen, während der Arbeitszeit im Werk produzierten Öko-Strom zapfen können, ohne das städtische Netz nicht zu überlasten.

Solche Eigeninitiativen – die natürlich auch im Eigeninteresse eines Autobauers liegen – helfen, klar. Aber der Wirtschaft allein kann man diesen Teilaspekt der Verkehrswende nicht überlassen. Auch von der Bundesregierung die Bundespolitik ist nun ein stärkeres Engagement gefordert, finanziell, vor allem intellektuell. Es braucht jetzt mehr Elan und auch mehr Courage: Der Klimawandel lässt sich nicht aussitzen.

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