Julia Verlinden sieht nicht aus wie sich der brave Bürger gemeinhin den typischen Großstadt-Guerilla vorstellt: Die 40-jährige promovierte Umweltwissenschaftlerin aus Bergisch Gladbach wirkt mit ihrem roten Lockenschopf und der schwarzen Brille eher wie die moderne Schwester von Pipi Langstrumpf. Aber auf dem Balkon ihrer Dienstwohnung in Berlin Mitte probt die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen gerade eine kleine Rebellion. Sie hat dort eine kleine Fotovoltaikanlage aufgestellt (siehe Bild oben). Die portable Solarzelle ist mit einem Wechselrichter ausgestattet und schickt den erzeugten Strom über eine Steckdose direkt ins Hausnetz. Angeschlossene Elektrogeräte wie etwa die Waschmaschine oder ein Computer lassen sich auf diese Weise umweltfreundlich wie kostengünstig mit Strom versorgen, wenn wie im vergangenen Sommer die Sonne tagelang und ohne Unterlass am Himmel schien.

Eigentlich ganz einfach und nachahmenswert – aber hierzulande nicht gerne gesehen. Während in Österreich und in der Schweiz der Einsatz kleiner Fotovoltaik- (PV)-Anlagen in Mehrfamilienhäusern schon länger möglich ist, stemmen sich deutsche Netzbetreiber immer noch gegen eine solche kleinteilige Energiegewinnung und die Einspeisung des Stroms ins Netz.

Energiewende von unten? Geht gar nicht, bringt nur Stromchaos, so ihre Argumentation. Dabei haben diverse Untersuchungen längst belegt, dass die Leistung solcher Solarmodule viel zu klein ist, um auch an sonnigen Tagen das Stromnetz zu überlasten oder gar einen Blackout auszulösen. Verfechter solcher Mini-Kraftwerke wie Verlinden haben deshalb den Begriff Guerilla-Fotovoltaik geprägt. Nach dem Motto: Auch mit nicht erlaubten Mitteln lässt sich mitunter Wirkung erzielen.

Energie statt Geranien

Die Taktik scheint aufzugehen: Anfang 2018 hat die dafür zuständige Deutsche Kommission Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (DKE) die entsprechende VDE-Norm für elektrotechnische Sicherheitsbestimmungen überarbeitet. Und es damit Privatpersonen erlaubt, steckbare PV-Module direkt an Haushaltsstromkreise anzuschließen. Der Revoluzzer-Spirit ist damit zwar dahin. Dafür ist es nun einfacher, auf dem Balkon Strom zu erzeugen als Geranien großzuziehen.

Und dieser Tage ist eine überarbeitete Fassung der Norm in Kraft getreten, die es Verbrauchern erlaubt, selbst beim Netzbetreiber Solargeräte mit bis zu 600 Watt Leistung anzumelden. Bisher mussten sie dafür einen Elektroinstallateur beauftragen, was natürlich Geld kostete. Was viele Konsumenten trotzdem nicht abschreckte: Bundesweit sollen bereits 40.000 der kleinen Solarmodule Energie liefern sein, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS).

Der Markt hat schnell reagiert: Fertige PV-Sets gibt es inzwischen in jedem größeren Baumarkt oder im Internet zu bestellen. „Auspacken, mit der Steckdose verbinden und fertig“, erzählt Verlinden. Das Modul wird entweder an die Balkonbrüstung gehängt, ans Fensterbrett geklemmt oder auf die Garage gestellt. Wer als Mieter ein Solarmodul an die Hauswand dübeln möchte, braucht aber die Zustimmung des Vermieters oder der Eigentümergemeinschaft.

Zwanzig verschiedene steckbare Fotovoltaikmodule listet das Fachblatt „pv magazine“ aktuell auf, die DGS hat ebenfalls eine Marktübersicht zusammengestellt. Wahrscheinlich wird sich die Zahl weiter erhöhen. „Denn schon mit drei Modulen zu je 150 Watt kann man bei einer guten Südausrichtung etwa 15 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs eines typischen Vierfamilienhaushalts einsparen“, wirbt Alexander Nollau, Abteilungsleiter Energy & Mobility der DKE. Nach rund sieben Jahren hätte sich die Anlage dann bezahlt gemacht.

Ein Problem ist noch die Abrechnung: Erzeugt das Stecker-Solar- Gerät mehr Strom als im selben Moment etwa vom PC verbraucht wird, wird die Energieerzeugung entweder abgeregelt oder der Strom ins öffentliche Netz eingespeist. Laut Rechtslage darf der Stromzähler dabei keinesfalls rückwärts laufen, was bei herkömmlichen Zählern mit Drehscheibe unter Umständen passieren kann. Um das zu verhindern, müsste eigentlich der Stromzähler im Haus ausgetauscht werden. Da es sich aber nur um geringe Strommengen handelt, drücken die Netzbetreiber derzeit häufig noch ein Auge zu, solange nur ein Modul angeschlossen wird, heißt es in der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Bei elektronischen Zählern besteht das Problem naturgemäß nicht.

Selbst ist die Frau

Den Anschluss eines Balkonmoduls muss der Besitzer aber auf jeden Fall dem Netzbetreiber melden. Wer ganz sichergehen will, sollte vor dem Kauf dort anfragen. „Die Netzbetreiber gehen sehr unterschiedlich damit um“, sagt Verlinden, die sowohl an ihrem Erstwohnsitz in Lüneburg als auch in Berlin ein solches Modul betreibt. Während in Berlin alles problemlos gelaufen sei, habe sich der Betreiber in Lüneburg lange dagegen gesträubt. „Die Normen können jetzt herangezogen werden, aber am Ende muss der Netzbetreiber entscheiden, was er in seinem Bereich zulässt und was nicht“, erklärt DKE-Experte Nollau.

Die Grünen-Politikerin wusste sich durchzusetzen – ihre beiden Anlagen sind inzwischen genehmigt. Die Senkung der Stromkosten ist für Verlinden nur ein netter Nebeneffekt. Ihr ging es vor allem um ein Statement: „Ich will nicht einfach nur Ökostrom einkaufen, der irgendwo herkommt, sondern lieber dezentral und selber produzieren“ – und so zumindest zu einem Teil autark sein.
Aber nicht nur Mieter profitieren von der Technik, auch Hausbesitzer und Vermieter können so an der Energiewende teilhaben – und gleichzeitig die Attraktivität ihrer Immobilie steigern. Davon ist zumindest Marcus Vietzke überzeugt, der mit seinem Start-up indielux.com steckbare Module vertreibt. Er hat nebenbei das Sicherheitssystem ready2plugin entwickelt. Ein Algorithmus errechnet hier automatisch jederzeit die Belastbarkeit des Stromnetzes und steuert so die Einspeisung der Energie. Auf diese Weise hofft er, die letzten Bedenken der Netzbetreiber gegen die Kleinkraftwerke ausräumen zu können.

In Gedanken ist er schon weiter: „Die veränderte Norm erlaubt eine neue Systemarchitektur, die Mieterstrommodelle für die Wohnungswirtschaft attraktiv machen.“ So wäre es möglich, dass der Eigentümer Teile eines Flachdachs auf seinem Wohnhaus an die Hausbewohner für die Eigenversorgung vermietet. Die könnten auf diese Weise leicht ihre Energiekosten senken.

Schon denkt Vietzke an stromproduzierende Heizungen und Energiespeicher, aber auch an Kleinwindkraftanlagen für den Balkon. Die Revolution hat offenbar erst angefangen.

Dies ist die aktualisierte Version des Artikels aus der EDISON-Ausgabe 4/2018.

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2 Kommentare

  1. A. Rech

    Hallo Herr KK,

    eine Lademöglichkeit für E-Autos kann nach neuester Gesetzgebung von den anderen Miteigentümern nicht mehr blockiert werden. Sie dürfen also installieren – auf Ihre Kosten. Wenn später die Anschlussleistung für die anderen/weitere Ladestationen nicht mehr ausreicht, können Sie sich freuen 😉
    Ihre Balkon-PVA stellen Sie doch einfach auf oder hängen sie wie Bilder an die Wand, also nicht fest aussen am Geländer montieren, sondern eben sofort rückbaubar und nicht fest mit dem Gebäude verbunden. Dann kann keiner was sagen. Hab ich damals als Student schon mit der SAT-Schüssel so gemacht, die ich auch nicht ans Balkongeländer schrauben durfte (weil es ja noch eine Hausantenne gab). Viel Erfolg.

    https://www.youtube.com/watch?v=KCp0erDt-Qc
    https://www.youtube.com/watch?v=2hpzqFS5BFs

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  2. Andreas KK

    Hallo Frau Verlinden, ich wollte auch so eine Anlage aufstellen, bin Eigentümer einer Eigentumswohnung, aber die Hausgemeinschaft hat meinen Antrag abgelehnt mit dem Hinweis, dass das Aussenbild sich verändert, OBWOHL KEINER der Eigentümer, Mieter die Anlage vom Haus aus sehen könnte. Allerhöchstens das Nachbarhaus sieht die Anlage. Ich bin verzweifelt. Und das obwohl es € 200,00 Förderung von der Stadt Freiburg gibt für das Aufstellen einer Balkon Solaranlage. Wenn Sie Politikerin sind, würde ich mich freuen wenn hier die Wohnungseigentumsgesetz geändert wird. Das gleiche (Ablehnung) habe ich erfahren als ich einen Stromanschluss an meinen Parkplatz installieren lassen wollte (Auf eigene Kosten). So kann ich nie ein Elektrofahrzeug anschaffen, was mir in Freiburg durchaus nützlich wäre.
    Liebe Grüße aus Freiburg Andreas KK

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