Ab sofort gibt es für die Millionen Besucher des idyllischen spanischen Badeortes San Sebastián eine neue Sehenswürdigkeit: Das lange vernachlässigte Stadtviertel Txomin entwickelt sich zu einem Vorzeigeprojekt, das in den kommenden Jahren voraussichtlich für internationale Aufmerksamkeit sorgen dürfte. Denn hier soll Fernwärme kombiniert mit Erneuerbarer Energie dafür sorgen, dass die Einwohner saubere Luft einatmen können und dabei auch noch am Ende des Monats mehr Geld im Portemonnaie haben.

Fernwärme ist eigentlich nichts Neues, schon die Römer versorgten Gebäude zentral von einem Ort aus mit Raumwärme sowie erhitztem Wasser. Rund um die Welt gibt es heute Heizkraftwerke dieser Art. Die thermische Energie gelangt meist durch ein unterirdisches, aufwändig gedämmtes Rohrsystem in Häuser und Fabriken. So auch in Txomin, wo die ersten 60 energie-smarten Wohnungen gerade übergeben wurden. Bis Ende des Jahres kommen weitere 187 hinzu. Begonnen hat das Abenteuer für die Basken im Februar 2016. Bis 2022 wollen die Betreiber insgesamt 1500 Haushalte mit rund 5000 Bewohnern an das Fernwärmenetz angeschlossen haben.

Gut fürs Klima und fürs Portemonnaie

Das Heizkraftwerk von San Sebastián dürfte wohl eines der grünsten sein, die derzeit existieren. Denn die Wärme wird zu 85 Prozent aus Erneuerbarer Energie gewonnen. Das weltweit gröβte Fernwärme-System gibt es in Moskau, wo 100 Wasseraufbereiter im Einsatz sind. Allerdings ist das 10.400 Kilometer lange Netz fast 100 Jahre alt und brüchig. Es basiert zudem komplett auf Gas. Der am Fluss Urumea gelegene Stadtteil Txomin könnte helfen, für eine Renaissance der Technik in Europa sorgen – dank seiner positiven Umwelt- und Wirtschaftsbilanz. Und sicher das Interesse vieler Stadtplaner wecken.

Das Vorhaben ist Teil des EU-Projekts „Renaissance of Places with Innovative Citizenship and Technology“, kurz Replicate. Die Mittel in Höhe von 29 Millionen Euro stammen aus dem Programm Horizon 2020 der EU-Kommission. Neben San Sebastián sind auch Florenz und Bristol Teil des Projekts. Die deutsche Ruhrgebietsstadt Essen ist eine der drei Beobachterstädte, die Erkenntnisse aus dem Vorhaben übernehmen wollen.

Das übergeordnete Ziel lautet, den Energieverbrauch der Städte zu reduzieren. Knapp elf Millionen Euro aus dem Topf fließen in das neue Txomin. Eine Millionen Euro stellen die beteiligten Unternehmen bereit, darunter der spanische Infrastrukturriese Ferrovial. Die Amortisation dürfte schnell erreicht sein, da 30 Prozent Energie eingespart und die CO2-Emissionen um 80 Prozent reduziert werden. Die Bewohner freuen sich nicht nur über saubere Luft: Sie sollen künftig 20 Prozent weniger für die Energie bezahlen.

Nicht nur schön – auch smart

Die im Baskenland gelegene Kurstadt unweit der französischen Grenze bemüht sich seit Jahren wie die spanischen Städte Santander, Barcelona und Madrid smarter zu werden und damit auch Arbeitsplätze außerhalb des Tourismus zu schaffen. Die Kommune hat die von Urlaubsgästen überflutete Altstadt bereits mit vielen Sensoren, Passantenzählern und energiesparenden Laternen ausgerüstet. Elektrobusse fahren auf einer Linie. Txomin ist aber das Aushängeschild der Stadt. Dessen zentrales Heizkraftwerk weist eine Gesamtleistung von 7400 Kilowatt (kW) auf, die beiden mit Biomasse arbeitenden Wasseraufbereiter (jeweils 1400 kW) versorgen das Stadtviertel mit Wärme. Thermosolar-Panele – sprich die Sonne – erwärmen das aus den Gebäuden zurückfließende Wasser, bevor es das Kraftwerk auf die endgültige Betriebstemperatur bringt. Erdgas wird nur noch bei Nachfragespitzen verbrannt.

Aufwendige Sanierung

Allerdings verlangt das Projekt einen erheblichen logistischen Aufwand. Während vorhandene Gebäude und Wohnungen energetisch saniert werden, müssen die Bewohner in andere Häuser umziehen. In Txomin gibt es auch ein Gefängnis, das komplett verlagert werden muss. Denn auch die Fenster werden ausgetauscht und die Fassaden gedämmt, um Energie zu sparen. Die Wohnungen in Txomin erhalten zudem digitale Messgeräte, damit jeder Haushalt seinen Verbrauch erfassen und kontrollieren kann. Einige Gebäudekomplexe entstehen komplett neu.

Der spanische Ingenieur Fernando Rodríguez, der lange beim in Madrid ansässigen Energieunternehmen Unión Fenosa gearbeitet hat, glaubt daher, dass solche Projekte wenig Sinn in bestehenden Städten oder Vierteln machen: „Das ist viel zu aufwendig und wenn Txomin kein Pilotprojekt wäre, würde kein Unternehmen dieses Abenteuer wagen“. Allerdings sieht der Strom-Experte die Kombination von Fernwärme und Erneuerbaren Energien als eine perfekte Lösung für künftige städtische Bauprojekte an: „Bei Neubauten kann man alles an dieses System anpassen, dann sind die Einsparungen maximal und der Aufwand nicht so hoch“.

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