Nach dem Facebook-Datenskandal zeigt sich: Wir brauchen im Netz auch Gemeinwohl-Portale, die mit der Kraft der Vernetzung soziale und ökologische Aufnahmen übernehmen – und nicht nur Werbung verkaufen.

Erst hackt der russische Geheimdienst die US-Wahlen, dann warnen große Denker vor der künstlichen Intelligenz und jetzt der Facebook-Skandal. Wer für einen Zukunftsentwurf plädiert, bei dem die Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielt, steht gerade ziemlich alleine da.

Bots und Fake News manipulieren uns, Facebook wird zum soziokulturellen Homunculus, der nach wie vor weitestgehend unreglementiert Meinungen steuert und Weltsichten verzerrt. So viel zum Campus-Netzwerk, das „die Menschen näher zusammenbringen“ wollte.

Haben wir das Internet schon aufgegeben? Dieses vorzügliche Instrument der Dezentralisierung und Transparenz, der Teilhabe und Demokratisierung. Wenn ja, dann sollten wir ausnahmsweise einmal nicht auf die neueste Apokalypse-Phantasien aus der futuristischen Asservatenkammer der Künstlichen Intelligenz (dargeboten wahlweise von Elon Musk oder Stephen Hawking) schauen, sondern auf nachhaltige Modernisierungspotenziale. Klingt kompliziert. Ist aber die Zukunft:

Trend 1: Utopien finanzieren sich nicht durch Werbung

Wenn wir die Digitalisierung als entscheidenden Megatrend für eine Zukunftswelt verstehen, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, dann muss vor allem der Umgang mit den Daten in den kommenden Jahren komplett überarbeitet werden. Facebook und Google, die sich als Retter der Welt gerieren, sind nämlich Werbekonzerne.

Das mobile Online-Targeting setzt uns einer hyperpersonalisierten und hochgradig manipulativen Kundenansprache aus. Dabei verknüpfen die Konzerne fröhlich Daten, die sie eigentlich nicht verknüpfen dürfen. Werden auch noch übergriffig und ermöglichen Werbepartnern den Zugriff auf die Daten unserer Nutzerfreunde, die daraus ein noch präziseres Profiling schneidern.

Und davon hat die Öffentlichkeit nicht viel. Vielleicht kann die EU über Strafen ein paar Euros aus Google herausholen, aber an Steuern bezahlt das Unternehmen für seine Umsätze in Europa schlanke 0,2 Prozent Steuern. 2014 hat Apple in Irland auf seine europäischen Gewinne gerade einmal 0,005 Prozent Steuern entrichtet. Weder diese Steuerpolitik, noch dieser Umgang mit Daten ist sonderlich nachhaltig.

Trend 2: Digitale Landwirtschaft

Fast 10 Jahre ist es her, dass die Simulation Farmville Millionen Facebook-Nutzer begeisterte – der eine oder andere dürfte sich vor allem noch an das digitale Betteln erinnern. Der Datenschutz verblasste auch damals schon neben der bunten Landwirtschaftsromantik zur Nebensache.

Doch in der echten Welt stellt sich die Frage, wie wir zukünftig die wachsende Menschheit ernähren, immer noch – und die Digitalisierung wird als kluges Werkzeug, das Prozesse optimiert und automatisiert, unabdingbar. Selbst im autokratischen China. Vor 40 Jahren lebte dort gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung in Großstädten, 2016 waren es bereits 57 Prozent. Seit 1990 hat sich der Fleischverzehr verdreifacht.

Die harte Nuss, die in China und vielen anderen Ex-Schwellenländern geknackt werden muss, besteht darin, eine neue Mittelschicht satt zu kriegen, die im Reich der Mitte zwischen 1980 und 2017 von quasi null auf 700 Millionen Menschen angewachsen ist. China muss ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren, hat dafür aber nur ein Zehntel der weltweiten Ackerfläche zur Verfügung und wird auch keine großen Flächen mehr hinzugewinnen können, da 20 Prozent der in China verfügbaren Fläche verseucht sind.

Die Digitalisierung muss hier tatsächlich eine disruptive Transformation ins Werk setzen. Die Devise lautet: weitere extensive Landnutzung durch klugen Technikeinsatz ablösen. Dabei hilft der Städte-Trend Urban Farming, platzsparenderweise in der Form von Vertical Farming, und das kleinteiligere Precision Farming. Und nicht nur das Farming, also der Lebensmittelanbau, sondern auch Saatgutherstellung und Schädlingsbekämpfung sind Felder, in denen wir aus China große Innovationsschübe erwarten dürfen.

Trend 3: Digitalisierung für die Energiewende

Die nächste Stufe der Energiewende wird ohne intelligenten Einsatz von digitalen Instrumenten nicht zünden. Das fängt an bei der „flüchtigen“ Eigenschaft der Wind und Solarenergie und endet noch lange nicht bei der individualisierten Nutzung/Produktion, der sogenannten Prosumption des Stroms.

Nur anhand von intelligenten, dezentral nutzbaren Speichern wird es gelingen, die Energiewende zu vollenden. Ein pfiffiges Unternehmen wie Sonnen aus dem Allgäu bietet ein cleveres Beteiligungsmodell aus Solar und Energiespeicher bereits an. Mit 22 Prozent Marktanteil ist Sonnen schon Europas größter Anbieter von Energiespeichern. Das Unternehmen aus Wildpoldsried tritt nicht nur als Verkäufer von Energiespeichern und Solarmodulen auf, sondern auch als Stromanbieter.

Für eine Flatrate liefert Sonnen seinen Kunden den sauberen Strom frei Haus. Wer als Sonnen-Kunde (und Speicherbesitzer) auf den Deal eingeht, erlaubt dem jungen Unternehmen allerdings auch den Zugriff auf den heimischen Energiespeicher, den Sonnen mit einer Community digital verknüpft. Diese Erzeuger-Nutzer-Gemeinschaft existiert bereits in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich werden gerade ähnliche Gemeinschaften aufgebaut.

Mit dem niederländischen Stromnetzanbieter Tennet besteht darüber hinaus eine Kooperation, die es den zurzeit 3.000 deutschen Community-Mitgliedern erlaubt, zwischen Nord- und Süd-, Ost- und Westdeutschland Strom beliebig zu tauschen. Alle Mitglieder beziehen Strom aus der Gemeinschaft, der selbstverständlich preisgünstiger ist als Netzstrom. Was das Projekt LO3 Energy in Brooklyn mit der Integration der Blockchain in die Energieproduktion und -nutzung vor Ort beabsichtigt, geht in eine ähnliche Richtung.

Trend 4: Mobilitätswende geht über Elektro-Motoren hinaus

Verkehrswende heißt erst einmal Elektromobilität. E-Autos allein lösen aber auch nicht alle unsere Probleme. Wir müssen Verkehr in Zukunft vernetzt, auf der Basis digitaler Infrastrukturen und autonom fahrend organisieren.

Dabei sollten wir nicht Uber oder ähnlichen kommerziellen Portalen das Geschäft überlassen. Autonome Mobilität und Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) müsse zusammenspielen. Zehn Prozent unseres Mobilitätsbudgets könnte dann weiterhin aus individueller Mobilität bestehen, aber die Nachfrage nach PKW dürfte um 70 sinken. Und was da an Platz frei wird, könnte neue urbane Räume öffnen – oder Vertical Farming voranbringen, siehe Trend 2.

Den Autobauern darf man diese Aufgabe wahrscheinlich nicht überlassen. Treiber müssen die Menschen sein, die durch die neuen Mobilitätsangebote enorm viel Zeit und Geld sparen würden.

Trend 5: Digitale Gemeinwohl-Portale

Zwei wichtige Vehikel, die uns in die nachhaltige Zukunft bringen könnten, sind eigentlich alte Bekannte: Genossenschaften und Regionalisierung. Gelingt es uns, die Plattform-Idee des Silicon Valleys im Sinne der Gemeinwohlidee zu transformieren, dann werden Netzwerkeffekte (Umsatzsprünge durch digitale Effizienzsteigerung) nicht mehr in den Taschen von Social-Media-Milliardären landen, sondern auf das Konto einer sozialökologischen Transformationsgesellschaft einzahlen.

Digitalisierung könnte dazu beitragen, dass Wertschöpfung stärker regional verankert wird. Das deuten Portale wie RegioApp, frimeo oder heimatprodukte an. Mehr Effizienz und weniger Zentralisierung – das bedeutet, dass Menschen wieder aktiver in Abläufe eingebunden sein können. Der Energie-Prosumer, Kleinbauer, Digital Citizen.

Denn wenn wir endlich verstehen, dass wir uns die Werkzeuge von AirBnB, eBay, Uber, Amazon oder Google anverwandeln können, sie im Sinne des Gemeinwohls und „geerdet“ auf kommunaler Ebene umnutzen können, werden wir neue, moderne Stadtgesellschaften gründen können.

Wir werden das Tor zu dieser digital-nachhaltigen Moderne aufstoßen, wenn wir (digitale) Technologien endlich nicht mehr als (Er-)Lösung, sondern als effiziente Werkzeuge begreifen. Digitalisierung müssen wir als einen Werkzeugkasten verstehen, der uns dabei unterstützt, unsere Vision von Moderne, Demokratie, Liberalität, Einkommensgerechtigkeit und Teilhabe in nachhaltiges Tun umzusetzen.

Eike Wenzel gilt als einer der renommiertesten deutschen Trend- und Zukunftsforscher und ist Gründer und Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ). Er gibt den Newsletter Megatrends! heraus und ist Mitglied des Nachhaltigkeitsrats der Landesregierung Baden-Württemberg. Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung einer Kolumne des ITZ.

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