„Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder, mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“ Sie erinnern sich? Ja, das sind die Grundregeln für den Verkehr auf öffentlichen Straßen und Wegen, nachzulesen in der Straßenverkehrsordnung.

85 Jahre hat die StVO und das Miteinander von Autofahrern, Radlern und Fußgängern auf Straßen und Wegen eigentlich ganz ordentlich funktioniert. Doch jetzt werden die Rollen im Straßenverkehr und die öffentlichen Verkehrsräume neu verteilt – und schon tobt hierzulande eine Art Glaubenskrieg.

Autofahrer gehen auf de Barrikaden, weil Teile der Fahrbahn in Fahrradstreifen umgewandelt werden. Radfahrverbände laufen Sturm, weil plötzlich auch Tretroller und andere Elektrokleinstfahrzeuge wie etwa Hoverboards und Ninebots die Fahrradwege mitbenutzen wollen und Schnell-Radler auf dem Weg ins Büro ausbremsen könnten. Und die Versicherungswirtschaft holt den ganz großen Hammer raus, warnt vor massenhaften Kollisionen und schwersten Personenschäden, weil sich schon bald Jugendliche mit E-Scootern mit Spitzengeschwindigkeiten von 12 km/h durch Fußgängerzonen „rasen“ könnten. „Heranwachsende im Alter zwischen 12 und 14 Jahren“, so die Begründung, „verfügten weder über die Reife noch die Möglichkeiten zu einer vorausschauenden Fahrweise“.

Nun endlich ist auch in Deutschland der Weg frei für E-Scooter. Worauf beim Kauf eines elektrischen Tretrollers zu achten ist. E-Mobilität

Groteske Debatte

Ja, geht’s noch? Beim Thema Klimaschutz beweisen Schüler im Alter zwischen 12 und 14 oft einen besseren Weitblick als viele Erwachsene – aber durch die Stadt sollen sie sich am besten an der Hand von Papa und Mama bewegen?

Die Argumentation der Versicherungswirtschaft gegen die neuen Mikromobile ist so grotesk wie der Un-Sinn, den manch greiser Wissenschaftler aktuell gegen die Elektromobilität ins Feld führen. Wir stehen an der Schwelle zu einer großen Mobilitätswende, aber uns Deutschen fehlt wieder einmal der Mut zu Veränderungen. Statt sich auf die neuen Technologien einzulassen und zunächst einmal auszuprobieren, sucht man sie mit einem möglichst engen Korsett an Gesetzen und Verordnungen zu gängeln und zu ersticken.

Dafür konstruiert man dann Horrorszenarien von amokfahrenden E-Scootern auf Bürgersteigen, von flüsterleisen E-Autos und E-Bussen, die sehbehinderte oder gehörgeschädigte Menschen erschrecken könnten. Wahrscheinlich wird schon bald die Forderung irgendeines Verkehrsexperten nach einem neuen „Red Flag Act“ laut: Ende des 19. Jahrhunderts veranlasste die Lobby der Eisenbahner und Droschkenbetreiber ein Gesetz, wonach ein Mensch mit einer roten Fahne Autos voranzugehen hatte, um Fußgänger vor dem nahenden Technik-Ungeheuer zu warnen.

Verkehr neu gedacht

Ja, wir stehen vor großen Veränderungen im Straßenverkehr, weil Mobilität aufgrund des Verkehrsinfarkts und der hohen Schadstoffbelastungen in den Städten schleunigst neu gedacht werden muss. Wohin das führt, lässt sich bereits absehen: Autos in Privatbesitz werden seltener, weil das Angebot an Sharing-Konzepten und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Nahverkehrs in den nächsten Jahren massiv wachsen werden.

Das klassische Taxigewerbe wird darüber, spätestens aber mit dem ersten Auftauchen vollautonom fahrender Elektroautos zugrunde gehen. Und die innerstädtischen Straßen werden in Zukunft nicht mehr allein den Autos und Lieferwagen gehören, sondern ganz selbstverständlich auch mit Pedelecs und E-Rollern befahren. Dort werden dann nur noch Fahrgeschwindigkeiten von allerhöchstens 30 km/h möglich sein. Und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, auch das ist bereits klar, werden in zehn Jahren nur noch auf Fern- und Landstraßen erlaubt sein.

Diese Vorstellung mag für den einen oder anderen noch eine Horrorvorstellung sein. Aber aufhalten lässt sich die Verkehrswende nicht mehr. Weder mit einem Verbot oder mit Tempolimits für E-Scooter auf Rad- und Gehwegen, noch mit Forderungen nach einem Dauerhupton für E-Mobile oder mit Klagen gegen die Verbreitung von elektrischen Kleinbussen in Großstädten. Wichtiger wäre es, die Generalverkehrskonzepte der Städte an die neuen technischen Möglichkeiten anzupassen. Und helfen könnte auch, alle Beteiligten an die Grundregel der Straßenverkehrsordnung zu erinnern – und solche mit aller Härte zu verfolgen, die vorsätzlich dagegen verstoßen.

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